Krankes Sozialsystem

Ronald Rupoldinger über die neuen Ausgesteuerten

Dass die derzeit fuhrwerkenden Regierung die Sozialhilfe vor allem als Werkzeug sieht, die Armen in diesem Land zu drangsalieren, wurde an diesem Ort bereits mehrmals erörtert. Wieweit sie allerdings bereit ist zu gehe, das überrascht immer wieder aufs Neue. Denn vom Anspruch, dass im Lande Österreich niemand in Elend leben muss, hat man sich schon längst verabschiedet. Klammheimlich, abseits der Haupt- und Staatsaktionen werden von Sozialminister Kocher Verschärfungen angewiesen, die für Betroffene katastrophale Auswirkungen haben.

So hat man kürzlich begonnen, längere Bezieher*innen der Sozialhilfe systematisch zur Überprüfung der Arbeitsfähigkeit zu laden. Es sind hier in erster Linie Menschen mit Behinderung und Menschen mit psychiatrischen Diagnosen betroffen, deren Arbeitsfähigkeit begutachtet wird. Es wurden Fälle bekannt, wonach erblindete Menschen, die überdies auf den Rollstuhl angewiesen sind, zur Überprüfung beordert worden sind. Fälle wurden auch öffentlich, in welchen psychisch erkrankten Personen, welche die Tätigkeiten zur normalen Lebensbewältigung

nicht ohne Unterstützung erledigen können, plötzlich eine Arbeitsfähigkeit attestiert wird. Der Ausgang dieser Fälle lässt sich leicht prognostizieren. Diese Menschen sind nicht in der Lage, Bewerbungen zu verfassen oder einen Job im ersten Arbeitsmarkt zu bewältigen. Sie fliegen früher oder später aus der Arbeitslosenversicherung und postwendend auch aus dem Bezug der Sozialhilfe. Verschiedene Sozialeinrichtungen berichten bereits von einer Häufung solcher Fälle. Die Betroffenen haben vom öffentlichen Sozialsystem nichts mehr zu erwarten. Sie werden auf Almosen angewiesen sein.

Inzwischen hat auch die österreichische Armutskonferenz in einer Studie nachgewiesen, dass die Sozialhilfe weder krisensicher sei noch die Grundbedürfnisse der Betroffenen decken würde. Diese Position ist den Regierenden gegenüber wohlmeinend und setzt voraus, dass es bei der Sozialhilfe um Absicherung gehen würde. In Wirklichkeit sind die Adressaten dieser Art von Sozialpolitik, die zumindest in Kauf nimmt, dass Betroffene verrecken, jene die noch in Arbeit stehen. Ihnen wird signalisiert, was ihnen blüht, wenn sie aufmucken in der Arbeitswelt.

Diktat der Betriebswirtschaft

Karin Antlanger über die Sozialpolitik des Landes Oberösterreich

Kakistokratie ist altgriechisch und bedeutet Regierung durch die am wenigsten Qualifizierten. Schlimmer geht es immer. Wolfgang Hattmannsdorfer, ÖVP, ist Sozial- und Integrationslandesrat. Birgit Gerstorfer, nicht gerade für revolutionäre Sozialpolitik bekannt, aber immerhin mit einem professionellen Bezug zu den Schwächeren, wurde eiskalt das Ressort weggenommen, das traditionell bisher von der SPÖ. wenn auch mit schwindendem Erfolg, verwaltet wurde.

Bereits unter Ackerl hatte eine Politik der Kürzung und eine einäugig betriebswirtschaftliche Sichtweise auf soziale Problemstellungen begonnen: Normkostenmodelle, Kürzungen von Budgets diverser Sozialvereine, denen das Land Jahre zuvor Aufgaben übertragen hatte, die es selbst aus Kostengründen nicht mehr wahrnehmen wollte.

Änderungskündigungen und Kürzungen von Personalplänen waren die Folge. Die Devise des Landes: 20 Prozent weniger geht immer. Kürzungen im Sozialbereich wurden medienwirksam als Sparen verkauft und hoch qualifiziertes älteres Personal durch junge Menschen ersetzt, die man durch eigens dafür kreierte Schnellsiedeausbildungen schleuste.

Auffallend war schon unter Landesrat Ackerl, dass die Betriebswirte das Sagen hatten. Also AbsolventInnen der Wirtschaftswissenschaften, für die nur betriebswirtschaftliche Kennzahlen zählen. Empathie, Verständnis und Geduld waren dabei keine rechnerischen Größen. Dafür sollte nicht bezahlt werden. Gerstorfer musste die Restbestände verwalten, die Ackerl ihr hinterlassen hatte.

Bei Trump in der Lehre

Hattmannsdorfer wird sich vermutlich darauf berufen, dass er bis vor Kurzem Aufsichtsratsvorsitzender des ÖVP-nahen Hilfswerks war. Als Chef einer GmbH ist man allerdings noch nicht für Sozialpolitik qualifiziert. Es legt eher die Befürchtung nahe, dass er Sozialpolitik als betriebswirtschaftliche Spielwiese sieht bzw. bei der Verteilung der Aufträge das Hilfswerk in Zukunft einen größeren Teil vom Kuchen abbekommen wird. Ist Hattmannsdorfer also ein Garant dafür, dass in der Sozialpolitik nicht das Bestbieterprinzip, sondern das Billigstbieterprinzip zur Anwendung kommen wird?

Erinnert sei auch daran, dass Hattmannsdorfer eigens in die USA flog, um Donald Trumps Wahlkampf zu studieren und sich dort Anregungen zu holen. Da können wir uns bald auf eine Charity-Politik gefasst machen. Almosen, milde Gaben und Geschenke durch Wohlhabende anstatt Rechtsansprüche auf soziale Netze.

Die Forderung nach mehr Lohn für die Beschäftigten im Pflegebereich unterstützt Hattmannsdorfer nicht. Ihm gehe es vielmehr um die Rahmenbedingungen. Was das heißt, kann man an der ÖVP-Forderung nach der rechtlichen Verankerung der Möglichkeit, dass eine 24-Stundenbetreuung auch gleichzeitig für mehrere Personen in räumlicher Nähe erlaubt sein soll, erahnen.

Dass er nun auch noch für Integration zuständig ist, zeigt, in welchem Machtrausch sich die ÖVP befindet. Und Hattmannsdorfer ist der Exekutor: Er kündigte an, Landesleistungen dahingehend zu überprüfen, ob diese an einen Mindeststandard Deutsch zu knüpfen sind, wie dies bereits bei der Wohnbeihilfe praktiziert wird. Das Gesundheitsressort (Haberlander), das Sozialressort und das Integrationsressort (Hattmannsdorfer) in der Hand von AbsolventInnen der Wirtschaftswissenschaften – Kakistokratie auf oberösterreichisch!

Gesetzlicher Terror

„Fähigkeitsorientierte Aktivität“ so heißt es in den amtlichen Papieren der oberösterreichischen Landesregierung, habe den Zweck, Menschen mit Beeinträchtigung, sei es mit Behinderung oder mit psychischer Erkrankung, eine Teilnahme am Arbeitsprozess, dessen tagesstrukturierenden Auswirkungen, also in das soziale Leben zu integrieren. Diese Aktivitäten, so könnte man die Verwaltungsprosa übersetzen, habe die Aufgabe, kapitalistische Realität zu simulieren. Damit die Simulation der Realität möglichst nahe kommt, hat sich das Land Oberösterreich, unter der Federführung des Landeshauptmannes zahlreiche Gemeinheiten ausgedacht.

Die Teilnehmer*innen dieser Maßnahmen (!) erhalten für ihre Arbeit, die oftmals durchaus verkauft wird, ein skandalös niedriges Taschengeld. Jenen Teilnehmer*innen dieser Aktivitäten, die auf die Sozialhilfe angewiesen sind, wird das Taschengeld eins zu eins von der Sozialhilfe wieder abgezogen. Wenn die Betroffenen dann noch in einer betreuten Einrichtung wohnen, erhalten sie ohnehin den geringeren Mitbewohner-Richtsatz. Die Landesregierung ist unendlich kreativ, wenn es darum geht, den Ärmsten eine reinzusemmeln. Von der Idee der Existenzsicherung durch die Sozialhilfe ist nichts übrig geblieben.

Ronald Rupoldinger