Ein einziger Parcours d’Elegance

Herr Groll auf Reisen: Was Herr Groll mit dem Fall Teichtmeister zu tun hat? Von Erwin Riess

Der Dozent hatte Freund Groll in ein Tankstellencafé in der Brünner Straße bestellt. Es gelte, eine Sache von einiger Relevanz zu besprechen. „Wieso so umständlich?“ fragte Herr Groll und bestellte eine Leberkässemmel zum Espresso.

„Darf ich Sie darauf hinweisen, daß Ihre Semmel die Anforderungen an ein gesundes und nachhaltiges Essen nicht erfüllt”, tadelte der Dozent.

Herr Groll schenkte seinem Freund ein kumpelhaftes Lächeln.

„Ich habe Sie hierhergebeten, um mit Ihnen über den Fall Teichtmeister zu sprechen.“

Kinderpornografie sei nicht seine Sache, entgegnete Herr Groll.

„Ich erinnere mich, daß der ORF vor einigen Jahren ein Drehbuch für einen Groll-Film bei Ihnen bestellte“, fuhr der Dozent fort. „Sie haben lang an dem Buch gearbeitet und wurden von einer Besprechung mit den ORF-Herren zur nächsten immer verzagter, weil laufend neue Wünsche der Redakteure auf den Tisch kamen, die alles bisher Erarbeitete über den Haufen warfen. Und ich erinnere mich, daß Sie recht bald die Ursache für das Chaos identifiziert hatten. Es war nicht die eine oder andere Wendung in Ihrem Drehbuch, die auf Widerspruch stieß, es war die Hauptfigur, jene des rollstuhlfahrenden Privatermittlers. Sie! Die leitenden Herrn vom Fernsehspiel waren von der Figur des Groll begeistert, ein aufmüpfiger und mit allen Wassern gewaschener Rollstuhlfahrer als Ermittler, das war für den verschlafenen ORF eine unerhörte Sache.“

„Mit großer Verve arbeiten die leitenden Redakteure ihr Programm ab. Von Ihrem Groll darf nichts übrigbleiben, Groll wird all seiner Attribute des Widerstands gegen eine Umwelt voller Barrieren entkleidet, übrig bleibt ein mitleiderregendes Hascherl, das mit dieser Haltung zur Welt auf freier Wildbahn keine drei Tage überleben würde. Groll hat keine behinderten Freunde, die, das weiß ich aus den Jahren mit Ihnen, über die Ebene der Freundschaft hinaus auch als Informationsdrehscheibe dienen, er hat keine Freundin und keine Sexualität und politisch ist er ein kreuzbraver Anbeter der herrschenden Verhältnisse. Im Katechismus der katholischen Kirche – die Redaktion besorgte der Wiener Kardinal Schönborn im Auftrag des polnischen Papstes – wird behinderten Menschen genau diese Aufgabe zugeschrieben: kein Protest, keine Kritik, denn behinderte Menschen tragen auch das Leid der anderen mit sich, sind sozusagen kleine Christusse auf dem Weg zum Heil. Da ziemt es sich nicht, gegen sein Schicksal aufzubegehren.“ „Trefflich formuliert“, lobte Groll.

„Das Drehbuch wurde abgeschlossen und bezahlt. Und wenig später wurde um eine Figur, die wie ein Ei dem anderem Ihrer Figur gleicht, eine mehrteilige Fernsehserie verwirklicht, ‚Die Toten von Salzburg‘. Als Hauptdarsteller verpflichtete man den bekannten Florian Teichtmeister. Er gibt einen Major im Rollstuhl.“

Groll nickte. „Im Sinne seiner Auftraggeber macht Teichtmeister alles richtig. Er sitzt falsch im Rollstuhl, man sieht nie, wie er allein den Rollstuhl aus dem Auto holt, man erfährt nicht, wie und wo er kathetert, man sieht ihn nie betrunken auf dem Boden liegen, sein Leben scheint ein einziger Parcours d’Elegance zu sein. Behindertenparkplätze sind für ihn grundsätzlich frei, jedes Lokal weist berollbare Toiletten auf, mißgünstige oder anstarrende Blicke prallen an ihm ab. Schon die Ausgangsposition ist verlogen und unrealistisch. Daß ein Rollstuhlfahrer Leiter der Mordabteilung wird, ist bei der österreichischen Bürokratie ausgeschlossen, eher geht ein FPÖ-Mann bei den Sternsingern mit. Überhaupt scheint es für den rollenden Tausendsassa keinerlei Barrieren zu geben. Was in der mittelalterlichen Altstadt von Salzburg keine geringe Leistung ist. Zusammengefasst: Teichtmeister liefert eine blutleere Figur mit allen Klischees der Darstellung behinderter Menschen im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen ab. Gerade in Ös- terreich, dem Land der Hörbigers und der Trapp-Familie fördert diese Art von Verlogenheit die Popularität des Schauspielers ungemein.“

„Und jetzt wird dieser Teichtmeister des Besitzes von zigtausenden Videos überführt, die sexuelle Gewalt an Kindern zeigen“, warf Herr Groll ein. „Die existenzielle Fallhöhe, ein Lieblingsbegriff von Dramaturgen und Redakteuren, könnte größer nicht sein. Fazit ist; der brave Polizist steckt tief im Kriminal. Empfinden Sie Schadenfreude?“

Herr Groll schüttelte den Kopf. „Wenn ich an die mißbrauchten Kinder aus Teichtmeisters Videothek denke, verbietet sich das.“

Fragwürdige Hymne

Alles Heimattümelnde hat etwas Künstliches. Die Heimatliebe, diese sentimentale Rührung, ergreift Menschen meistens erst in der Ferne. So auch Franz Stelzhamer, der – während Frau und Kind daheim buchstäblich hungerten – die besten Hotels des Landes frequentierte.

Mag dieser Zug schon unangenehm sein, so wird er noch haushoch übertroffen von ganz und gar abstoßenden antisemitischen Machwerken aus seiner Feder. Vom „Juden“, der, einem „blutsaugenden Bandwurm“ gleich, „gesunden Volkskörpern“ den Lebenssaft aussaugt, ist etwa im „Bunten Buch“, einer von ihm selbst zusammengestellten Sammlung, zu lesen.

Ludwig Laher, Germanist und Autor, hat sich damit auseinandergesetzt, leider dringt die Kritik nicht durch. Davon zeugen die vielen Denkmäler, Stra- ßen und der nach wie vor aktive Mundartverein Stelzhamerbund. Und nicht zuletzt die mittlerweile 70 Jahre alte Landeshymne von Oberösterreich. Die Festreden zum 70er kommen um eine Erwähnung der antisemitischen Abgründe nicht mehr herum, allzu ernst meint man es jedoch nicht. Änderung der Hymne? Verrat an der Tradition! Kommt nicht in Frage.

Bärbel Rinner

Auf neue Beine gestellt

Das Linke Wort beabsichtigt, über das Volksstimmefest hinauszuwachsen. Von Barbara Urbanic und Alexander Hartl.

Seit 1975 findet die Literaturlesung „Linkes Wort am Volksstimmefest“ bereits statt: An den beiden Festtagen gibt es auf der Sigi-Maron-Bühne jeweils ein zweistündiges Leseprogramm von mehreren deutschsprachigen Schriftsteller*innen, an dem in der Vergangenheit bekannte Autor*innen wie Stefanie Sargnagel, Christine Nöstlinger, Michael Scharang, Peter Turrini und die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, sowie in diesem Jahr auch Marlene Streeruwitz teilnahmen. Die Organisation der Veranstaltung übernahmen 2022 – nach einer Phase des Übergangs – Barbara Urbanic und Alexander Hartl vom langjährigen Verantwortlichen Christoph Kepplinger.

Das „Linke Wort“ gehört genauso zum Volksstimmefest wie der obligatorische Regen. Als offen zugängliche Literaturlesung unter freiem Himmel ist es nicht nur wichtiger Bestandteil des intellektuellen Programms am Fest, sondern ermöglicht auch Menschen, die es ansonsten selten in die Leseveranstaltungen der Kulturszene zieht, Kontakt zur Literatur aufzubauen. Und nicht zuletzt dürfte ebenso die große Zahl an Zuhörenden ein positiver Anreiz für die Autor*innen sein.

Mit dem Wechsel im Organisationsteam gehen auch neue Zielsetzungen einher: Zusätzlich zur traditionsreichen Veranstaltung auf der Jesuitenwiese im Wiener Prater selbst, soll auch eine „Nebensaison“ etabliert werden. Vorgesehen sind etwa drei weitere Veranstaltungen, die die Zeit zwischen den Festen mit Formaten wie Buchpräsentationen, Diskussionen oder Filmvorführungen überbrücken sollen.

Vorwiegend in Wien, aber potenziell auch in anderen Bundesländern, möchte das neue Team die Literatur stärker im Parteileben und letztlich auch – wie einst – in der Parteiidentität verankern und dadurch nicht nur zum Kulturangebot beitragen, sondern ebenso inhaltlichen Debatten über politische Ziele und Perspektiven auf die gegenwärtigen Krisen einen Raum bieten.

2023 wird die Lesung am Volksstimmefest unter dem Thema „Tragik“ stattfinden. Zudem ist bereits eine nachträgliche Veranstaltung und Lesung zum 100-jährigen Geburtstag der 2007 verstorbenen Kommunistin, Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Erika Danneberg in den Wiener Räumlichkeiten von transform!europe in Planung

Bilder dieser Ausgabe

„Das kleinformatige Bild ,Gegen Morgen‘ von Kurt Kopta zeigt Gegensätze. Form und Farbe, ausgewogen oder vielleicht nur gleich stark im Konflikt, das figurative tritt aus dem Informell oder erkämpft sich seinen Platz.“ notiert Ismael Picker-Schiebel, der künstlerische Nachlassverwalter von Kurt Kopta zu dieser Arbeit. „Und dann ist da noch der Künstler, auch er beansprucht seinen Platz. Graphitstift kratzt über Papier, der Pinsel schabt Fetzen aus der Oberfläche, der Künstler arbeitet sich buchstäblich in das Bild.“, so Picker-Schiebel weiter.

„…der Tatort ist menschenleer. Seine Aufnahme erfolgt der Indizien wegen. Die photographischen Aufnahmen beginnen Beweisstücke im historischen Prozess zu werden. Das macht ihre verborgene politische Bedeutung aus“. Diese Notiz Walter Benjamins könnte leitmotivisch sein für die Bilderserie Dieter Deckers in dieser Ausgabe. Denn das Fahrrad im urbanen Kontext hätte das Zeug für einen progressiven Spin. Die real existierende Infrastruktur ist jedoch ein Tatort, den die vorherrschende Politik zu verantworten hat. Und Dieter Decker hat zu verantworten, dass in diesem Falle Kunst und Verbrechen unter einen gemeinsamen Nenner gebracht worden sind.

Franz Fend

In Auschwitz ermordet

Gerlinde Grünn über die Ausstellung Friedl Dicker-Brandeis im Lentos

Das Lentos in Linz widmet der Universalkünstlerin Friedl Dicker-Brandeis (1898–1944) eine Einzelausstellung, die man gesehen haben muss. An die 200 Ausstellungsstücke vom Möbelstück, über Zeichnungen bis zur Installation gilt es zu bestaunen und das alles eingebettet in die Erzählung ihres Lebenswegs beginnend in Wien und endend in Auschwitz.

Ganz am Anfang zieht einen ein Video „Damen im Auto“ an. Ihre betagten Freundinnen Hilde Kothny und Edith Kramer erzählen auf der Rückbank eines Autos auf der Fahrt zu einem Treffen mit viel Witz und unpathetisch über ihre Freundin und Genossin Friedl.

Friedl Dicker wurde 1898 als Tochter eines Papierwarenhändlers geboren und verlor früh ihre Mutter. Studierte an der Kunstgewerbeschule Textil, arbeitet für das Theater und folgte ihrem Lehrer nach Weimar und wurde Bauhaus-Schülerin. Mit ihrem Freund Franz Singer gründete sie in Wien ein Architekturbüro. Die von ihr entworfene Einrichtung für den Kindergarten im Wiener Goethehof findet sich in der Ausstellung wieder.

Sie war wohl zu diesem Zeitpunkt schon politisch aktiv und trat zu Beginn der 1930er Jahre der kommunistischen Partei bei. Fotomontagen etwa zum Abtreibungsverbot oder die Mitarbeit zu einem Film über „Das Kapital“ verweisen auf ihr Engagement. Leider ist der Forschungsstand zu ihrer politischen Biografie derzeit noch recht mager. Gewiss ist, dass sie im Zuge des Auffliegens einer Passfälscherwerkstatt inhaftiert wird und 1934 in die Tschechoslowakei flieht.

In Prag lernt sie ihren Mann Pavel Brandeis kennen. Bedrückt vom Vorrücken des Faschismus ziehen beide in ein kleines Dorf. 1942 werden beide ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Friedl Brandeis beginnt dort mit den Kindern zu malen und zu zeichnen, um ihnen in der schier ausweglosen Situation zu helfen. Die Kinderzeichnungen überdauerten in einem Koffer und sind in einem eigenen Raum zu besichtigen. Als ihr Mann nach Auschwitz deportiert wird, folgt sie ihm und wird ermordet.

Die Ausstellung über Friedl Dicker-Brandeis im Lentos berührt und ermutigt dazu selbst auf Spurensuche zu gehen. So verweist etwa das Bild „Fuchs lernt Spanisch“ auf den Spanischen Bürgerkrieg oder das Gemälde „Don Quijote und Lenin“ auf die Sehnsucht nach einer besseren Welt.

Geschichtenerzähler – Erzähler von Geschichte

Judith Gruber über Franz Kain (1922–1997)

Der in Bad Goisern geborene Franz Kain, Schriftsteller, Journalist, KPÖ Gemeinderat in Linz, wäre im Jänner 100 Jahre alt geworden.

Wer jemals mit Franz Kain beisammensaß, egal ob im Wirtshaus, in der Redaktion, am Rande von Konferenzen, bei literarischen Veranstaltungen, der erlebte ihn als Erzähler. Als Erzähler von Geschichten, von Begebenheiten aus seinem eigenen, bewegten Leben, von politischen Ereignissen und Erlebnissen, von österreichischer Geschichte, vom politischen Widerstand oder auch manchmal von Sturheit und Widerborstigkeit, seiner eigenen und der anderer Menschen. Selbst wenn er von der Arbeit als KPÖ-Gemeinderat in Linz berichtete, waren es häufig Geschichten, die er erzählte.

Aus seinem eigenen Leben hatte Franz Kain viel zu erzählen. 1922 in Bad Goisern geboren, engagierte er sich früh im bereits illegalen Kommunistischen Jugendverband. Er war erst 14 Jahre alt, als er deswegen das erste Mal verhaftet wurde, arbeitete danach als Holzknecht, wurde 1941 wegen seines Engagements im politischen Widerstand gegen die Nazis neuerlich verhaftet, verurteilt, kam zur Strafdivision 999, in US-Kriegsgefangenschaft. Und er war nicht nur ein gierig Lesender, er begann auch selber zu schreiben, über die politische Lage, über seine eigenen Erlebnisse in Kindheit und Jugend.

Nach seiner Rückkehr nach Österreich 1946 startete er seine journalistische Laufbahn bei der „Neuen Zeit“, der OÖ-Ausgabe des KPÖ-Zentralorgans, bei der er, später als Chefredakteur, bis zu seiner Pensionierung 1982 tätig war. Daneben schrieb er weiter Lyrik, Erzählungen, Romane, die bis auf wenige Ausnahmen in der DDR verlegt wurden und dort für Österreich unvorstellbar hohe Auflagen erreichten.

Leben und literarisches Werk sind bei Franz Kain eng miteinander verknüpft, sein Leben als Holzknecht, der Widerstand im Salzkammergut (besonders im Roman „Der Föhn bricht ein”), das Leben in Linz mit all seinen sozialen und politischen Facetten (im Roman „Das Ende der Ewigen Ruh”,), das alles machte er zum Thema seiner literarischen Arbeiten. Und so bildet sein Werk ein Abbild des Lebens im Oberösterreich des 20 Jahrhunderts. Wobei der antifaschistische Widerstand immer im Vordergrund steht.

So war Franz Kain als Geschichtenerzähler tatsächlich auch ein Erzähler von Geschichte. Er selber schrieb dazu: „Die Darstellung erfolgt von der Basis eines zornig Liebenden her, der unter seiner Liebe leidet. Die Wahrheit ist immer nützlich, aber nur selten angenehm. Die Geschichte mit Hilfe von Geschichten zu beleuchten, die im Schatten ihrer Zäsuren wachsen, ist ein Akt nationaler Selbstkritik.“ (Aus dem Erzählband „Der Weg zum Ödensee”).

Dass Franz Kain in Österreich als Schriftsteller nie den Bekanntheitsgrad und die Anerkennung erreichte, die ihm gebührt hätten, ist sicherlich auf diese seine Haltung zurückzuführen.

In seinem Essay „Vom Wagnis Geschichten zu schreiben“ stellt Franz Kain fest, dass er weiße Flecken auf der literarischen Landkarte betreten habe, die frei geblieben seien, weil nicht gewünscht werde, dass darüber geredet wird. „Aber man muss darüber reden, damit alles gesagt ist“, schrieb er. Und das hat Franz Kain getan, als Schriftsteller, Journalist, Gemeinderat.

Ein notwendiger Paukenschlag

Paul Schuberth über die Gründung der IG Freie Musikschaffende.

Es überraschte wie der Paukenschlag in Haydns berühmter Symphonie: Alexander Koeck, Sänger der international erfolgreichen, aus dem Burgenland stammenden Band Cari Cari, wagte es, zwischen seinen Auftritten beim Festakt zu „100 Jahre Burgenland“ die furchtbaren Gagen der ebenfalls auftretenden Orchestermusiker*innen zu kritisieren.

Dreißig Euro für einen ganzen Abend seien eine Schande für ein Land, das für sich selbst als eines der Kultur wirbt. Der sichtlich beleidigte Moderator Alfons Haider musste zwar nach einem Wortgefecht und anfänglichen Dementi die Gagenhöhe bestätigten, wusste aber das „hoffentlich nicht belästigte“ Publikum zu beruhigen: „Aber bitte: das sind keine Profimusiker!“

Natürlich ist es ein Irrsinn, 25-jährige Künstler*innen, die zufällig noch zwei Monate vor ihrem Diplom- oder Masterabschluss stehen, aber in vielen Fällen schon eine professionelle 15-jährige Vollzeitausbildung absolviert haben, als Hobbyspieler zu verniedlichen. Dreht man aber den Spieß um, und bezieht die Bezeichnung „Profi“ darauf ab, ob man von der professionellen Leistung und dem täglichen Einsatz auch einigermaßen angenehm leben kann, kommt man zur Frage, wer in Österreich überhaupt als Profimusiker bezeichnet werden kann?

Bezahlungen in genannter Höhe sind keine Ausreißer, sondern in den verschiedensten Genres der Branche Alltag. Selbst wenn hundert Euro mehr bezahlt würden, käme man – rechnet man die Zeit fürs Üben, Proben, für die Anfahrt, fürs Organisatorische als Arbeitszeit – auch auf nicht viel mehr als einen Stundenlohn von drei bis fünf Euro.

Hinzu kommen die oft miserablen Arbeitsbedingungen: Etwa die Unzumutbarkeiten von unangreifbaren hierarchischen Strukturen, mit denen man von der Universität weg, über freie Projekte, bis hin zu den etablierten Orchestern überall konfrontiert wird. Oder das Ausgeliefertsein an tyrannische Dirigenten oder Projektleiter, die Häufigkeit von sexueller und anderer Belästigung, gegen die sich Betroffene aus Angst vor schlechter Beurteilung oder vertaner Karrierechance nicht aufzulehnen trauen. Weiters der im Vergleich zu anderen Branchen noch schlechtere Gesundheitsschutz für Musiker*innen. Dazu kommt der unfassbare Druck vor allem in der Klassikbranche, der die Kolleg*innen so schlecht miteinander umgehen lässt, dass die Versprechen der Musik Freiheit und Menschlichkeit als reine Farce erscheinen.

»Der Arbeiter fühlt sich in seiner Arbeit ausgebeutet. Der Künstler aber fühlt sich unterdrückt in seinem Genie, eingeschränkt in seinem Schaffen, betrogen in seinem Anspruch auf Ruhm und Glück.« Wie um diese interessante Analyse aus dem Jahr 1925 des peruanischen marxistischen Philosophen José Carlos Mariátegui zu widerlegen, gründete sich im Sommer 2020 die IG Freie Musikschaffende Österreich.

Die IG, getragen von Musiker*innen aller Genres, setzt sich ehrgeizige Ziele. So zum Beispiel eine umfassende soziale Absicherung für alle freien Musiker*innen, der Kampf gegen Diskriminierung aller Art, die Etablierung von Mindesthonorarsätzen – aber auch die Reflexion der ambivalenten Funktion von Kunst und Musik in der kapitalistischen Gesellschaft. Dieser enorm wichtigen Initiative ist nur der größte Erfolg zu wünschen!

Gang der Verdrängung

Peter März über die oberösterreichische Landesausstellung 2021.

Die Landesausstellung „Arbeit. Wohlstand. Macht.“ zeigt die kultur-, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Entwicklung Steyrs. Sie konzentriert sich auf die drei Eckpfeiler kapitalistischer Gesellschaften des 19. Jahrhunderts: Proletariat, Bürgertum und Adel und bemüht sich um eine Begegnung auf Augenhöhe dieser miteinander in Widerstreit befindlichen Klassen. Die drei Standorte Schloss Lamberg (Adel), Innerberger Stadel (Bürgertum) und Museum Arbeitswelt (Arbeiter*innen) sind gleichzeitig zentrale bauhistorische Denkmäler Steyrs.

Die MAN-Krise fördert dabei zu Tage wie rasant die Deindustrialisierung Steyrs mittlerweile voranschreitet. Das rote Soli-Transparent für die MAN-Werksarbeiter*innen über dem Eingangstor des Museum Arbeitswelt offenbart wie eng miteinander verwoben hier alles ist. Diese aktuellen Entwicklungen sind in der Ausstellung selbst klarerweise nur ansatzweise abgebildet – auf einem Bildschirm läuft ein Interview mit einer MAN-Betriebsrätin. Doch auf Grund der ausgezeichneten Aufbereitung und Vermittlungsprogramme lassen sich problemlos Verknüpfungen und Rückschlüsse über die Ursachen dieser Krise ziehen.

Michael John, Herta Neiss und Andreas Praher zeigen vor allem im Museum Arbeitswelt, was eine moderne Ausstellungskonzeption leisten kann. Die Industrialisierung mit all ihren Schattenseiten und die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus werden hier geradezu greifbar. Jene, die den Reichtum erschaffen, jene, die den Mehrwert produzieren, hatten und haben oftmals nichts davon. Das spürt man etwa, wenn man sich in der engen Arbeiter*innenwohnung umsieht.

Breiten Raum nimmt der Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung ein – die originale Schutzbunduniform und Dokumente von kommunistischen Zellen gegen die Nazi zeugen von harten Kämpfen, die oft genug mit dem Leben bezahlt wurden. Nähert man sich der Jetztzeit kommt aber auch der Humor nicht zu kurz. Durch den Gang der Verdrängung gelangt man in die Kreisky-Ära und von dort in den Tunnel der Krise, der die Zerschlagung der Verstaatlichten aufzeigt.

Arbeit. Wohlstand. Macht. Oberösterreichische Landesausstellung, Steyr, täglich bis 7. November 2021

Verzweifelter Neustart

Andreas Heißl im Gespräch mit KUPF-Geschäftsführer Thomas Diesenreiter über die derzeitige Lage der Kulturbetriebe.

Der langanhaltende Lockdown setzt vor allem den kleinen Kunst & Kulturbetrieben zu. Wie könnte man die derzeitige Lage beschreiben?

Eine Mischung aus Abwarten, Teetrinken, Verzweifeln und Neustart planen. Der überwiegende Teil der Szene trägt die gesundheitspolitischen Maßnahmen klar mit. Viele wünschen sich eine Perspektive, wie es weitergehen kann. Unverständnis herrscht bei vielen darüber, dass im Tourismus die Regeln deutlich laxer sind oder kaum kontrolliert werden, etwa in Tirol. Leider schlittern auch in der Kulturszene manche in Verschwörungstheorien ab und beteiligen sich unreflektiert an Coronaleugnerdemos.

Trotz Präventionsmaßnahmen ist der Kultursektor einer der letzten der aufsperren darf. Ist das aus eurer Sicht gerechtfertigt?

Dass wir nicht so schnell wieder auf Raves gehen können, wo eng an eng getanzt wird, ist prinzipiell nachvollziehbar. Es wäre dennoch besser gewesen, hätte man von Anfang einen wirklich harten Lockdown für alle – also auch für Industrie und Wirtschaft – umgesetzt. Die Forderung #zerocovid klingt radikal, hat aber in den Ländern, die das geschafft haben, zu deutlich weniger Todesopfer, weniger langen Einschränkungen und weniger Wirtschaftseinbruch geführt.

Es gibt einige Hilfsfonds für Kunst & Kulturschaffende. Wie hoch sind da die bürokratischen Hürden und kommen die Hilfen auch an?

Im Großen und Ganzen kommen die Hilfen an, ja. Aber alle Instrumente haben auch ihre Schwachstellen, die leider oft trotz unserer Kritik bis heute nicht behoben wurden. Beispielsweise gilt die Kurzarbeit nicht für geringfügige Angestellte, eine im freien Kulturbereich verbreitete Anstellungsform. Auch der NPO-Fonds hat bei allen Vorteilen wie einer schnellen Abwicklung einige strukturelle Probleme, die auch in der angekündigten Verlängerung nicht behoben werden. Das Land OÖ hat zwar viel angekündigt, aber auch hier hapert es in der Umsetzung leider oftmals.

Wie soll es aus Sicht der KUPF weitergehen? Was fordert ihr konkret von der Politik?

Wir sollten die Chance für einen kulturpolitischen Neustart nutzen. Das heißt konkret, die dramatische Unterfinanzierung der freien Szene zu beenden. Die KUPF OÖ fordert seit Jahren eine Verdopplung der Ermessensausgaben für die zeitgenössische Kunst und Kultur. Das wären etwa fünf Mio. Euro mehr pro Jahr oder plus 2,5 Prozent im Kulturbudget des Landes.

Wohltat in bleierner Zeit

Gerlinde Grünn über die Ausstellung „Beim Schreiben werde ich mir fremd.“ Eugenie Kain (1960-2010) im Stifterhaus bis 27. Mai 2021

Eintauchen in eine Welt voll Erinnerungen und Poesie, das bietet derzeit die Ausstellung „Beim Schreiben werde ich mir fremd.“ des Linzer Stifterhauses über die Autorin und Schriftstellerin Eugenie Kain. Welche Wohltat und Trost ist dieser Ausstellungsbesuch in diesen bleiernen Zeiten einer in Krisen zerfallenden Welt.

Raum sinnlicher Wahrnehmung

Sechs als Boxen gestaltete Einheiten gewähren Einblicke in das literarische und journalistische Schaffen der viel zu früh verstorbenen Eugenie Kain.

Die Boxen unter den Überschriften Gehen, Fließen, Arbeiten, Träumen, Leben und Schreiben eröffnen eine Welt der Erinnerung und Poesie. Fotos, Filme, Tondokumente und Alltagsgegenstände von Eugenie Kain bilden einen Raum der sinnlichen Wahrnehmung und Berührung.

Das entspricht wunderbar der Persönlichkeit der Autorin und lädt zum mehrmaligen Wiederkommen ein. Im begleitend erschienen Sonderheft der Literaturzeitschrift „Rampe“ findet sich unter anderem auch die mit dem Max-von-der-Grün-Preis für Literatur der Arbeitswelt 1982 ausgezeichnete Erzählung „Endstation Naßzone“.

Es gibt wohl nur wenige literarische Texte, die es wie dieser verstehen die Arbeits- und Lebenswelt der Marginalisierten einzufangen.

Klarer Blick auf Verhältnisse

Und das zeichnet auch ihr Werk aus. Der klare Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten der Unterdrückung und Ausbeutung und die Sensibilität und Behutsamkeit im Umgang mit individuellem Erleben und Erfahrungen.

Ihr Prosawerk – die drei Erzählbände „Sehnsucht nach Tamanrasset“, „Hohe Wasser“ und „Schneckenkönig“ und die Erzählungen „Atemnot“ und „Flüsterlieder“ – gehören in jede Hausbibliothek und sind zur Schärfung des kritischen Auges und der Erbauung wärmstens empfohlen.

Journalistisches Engagement

Umfassend war auch das journalistische Engagement von Eugenie Kain. Ob in ihren Anfängen als Redakteurin der KPÖ-Tageszeitung „Volksstimme“ oder nach ihrer Rückkehr aus Wien bei den Linzer Medien „Versorgerin“ oder Radio FRO.

Immer aktuell hier etwa ihre Reportagen über die soziale und geographische Peripherie im „hillinger“ unter dem Titel „Linzer Rand“.

Von der Familie geprägt

Auch das Private kommt nicht zu kurz. Ihre Herkunft und Einbettung in eine vom kommunistischen Widerstand geprägten Familie, ihr Schriftstellervater Franz Kain, ihre Lebensgemeinschaft mit dem Liedermacher Gust Maly und die vielen die ihren Lebensweg kreuzten oder begleiteten, runden die Ausstellung ab.

Die Sicht ihrer Mutter Margit und ihrer Tochter Katharina auf Eugenie finden sich in der „Rampe“ zum Nachlesen.

Es bleibt zu hoffen, dass das Begleitprogramm nachgeholt und die Zugänglichkeit der Ausstellung trotz Pandemie im neuen Jahr wieder gewährleistet ist.