Warum Integrativlehre?

„Fachkräftemangel“ schreien zwar viele Unternehmen und zeigen damit wohl eher die Unfähigkeit das eigene Personal von morgen in den Betrieben selbst auszubilden. Noch immer werden Jugendliche lieber in überbetriebliche Maßnahmen geparkt als zu fachkundigen Mitarbeiter*innen auszubilden.

Gar nicht so selten geschieht es, dass Jugendliche zum Beispiel auf Grund eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, Lernschwäche oder soziale/ emotionale Beeinträchtigung keine Chance auf einen regulären Lehrplatz bekommen. Denn auch in der öffentlichen Verwaltung ist man noch nicht so weit, dass man die Berufsausbildung für Jugendliche mit Förderbedarf den Erfordernissen anpasst.

Dabei wären sehr wohl die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine integrative Berufsausbildung mit einer verlängerten Lehrzeit bzw. einer Absolvierung mit Teilprüfungen möglich. Dazu würde auch noch die Unterstützung ua. durch Berufsausbildungsassistenz der Caritas sowohl Jugendliche wie auch Betriebe begleiten. Es bräuchte daher eine Verpflichtung per Gesetz für Unternehmen und Gemeinden „integrative Lehrstellen“ auszuschreiben und zu besetzen.

Armin Kraml

Die harte Hand

Gerlinde Grünn über Reaktionen auf Krawalle und Proteste

Es mangelte im heurigen Herbst nicht an Aufregern – seien es Jugendliche, die zu Halloween die Innenstadt mit Böllern beglückten oder Klimaaktivist*innen, die durch Sitzblockaden den morgendlichen Pendlerstrom störten. Ungeachtet des Anlasses kann man sich sicher sein, dass ein mediales Getöse der Empörung losbricht und alsbald die hohe Stadtpolitik zur Repression der Störenfriede ruft.

Rund 200 Jugendliche versammelten sich zu Halloween am Taubenmarkt und warfen rücksichtlos mit Böllern. Die Polizei schritt ein und die Situation eskalierte. Erst spät in der Nacht war die Lage wieder im Griff und 126 Personen identitätserfasst. Der Umstand, dass mehrheitlich migrantische Jugendliche beteiligt waren, wurde zum gefundenen Fressen für Boulevard und rechte Politiker. Selbst aus Wien drohte der Innenminister mit Abschiebungen.

In der kurz darauf folgenden Gemeinderatssitzung nutzte die ÖVP die Gunst der Stunde für einen Antrag, der außer Repression und Drohgebärden nichts zu bieten hatte. Vernünftige Stimmen, die den Fokus auf die Frage was denn da mit den Jugendlichen und ihrer Wut los ist, lenkten, blieben in der Minderheit. KPÖ-Gemeinderat Michael Schmida verwies darauf, dass schwarze Pädagogik im Umgang mit Jugendlichen nicht angebracht ist, sondern hier Ursachenforschung gefragt ist.

Klar ist, dass verantwortungsvolle Stadtpolitik sich die Frage stellen muss, was läuft schief in der Jugendpolitik und was muss getan werden, um Jugendlichen, besonders denjenigen die schon viele Ausgrenzungserfahrungen haben, echte Perspektiven zu ermöglichen. Das beginnt bei Ressourcen für Jugendangebote und endet bei Racial Profiling durch die Polizei.

Aktuell erregten kurzfristige Straßenblockaden durch Klimaaktivist*innen. Die Reaktion darauf sprüht ebenfalls den reaktionären Geist. So fordert etwa ÖVP-Vize Hajart Präventivhaft für Klimaaktivist*innen. Fakt ist aber, dass die Aktionen bis dato zwar viel Aufmerksamkeit generierten, die realen Auswirkungen der Blockaden sich in Grenzen hielten. Die repressive Kraftmeierei der Stadtobrigkeit bedient daher vor allem Ressentiments des Boulevards. Was man auch immer von der Aktionsform Kleben hält, eine alte Weisheit besagt: Wenn es nicht unbequem wird, verändert sich auch nichts.

Gefährliche Sicherheit

Eine Halloween-Party als Vorwand zur Aufrüstung. Von Franz Fend

Als zum heurigen Halloween-Tag in der Linzer Innenstadt ein paar Hundert Jugendliche zusammentrafen, ein wenig Krawall machten und sich ein ungleiches Match mit der Polizei lieferten, reagierte die Polizei – entgegen ihren sonstigen Usancen – recht überlegt und keineswegs eskalierend.

Helle Aufregung und aufgebrachtes Gezeter herrschte hingegen bei den Provinzblättern, die in ihrem Wahn von bürgerkriegsartigen Zuständen phantasierten und die Stadt bereits in Schutt und Asche liegen sahen. Die hiesigen Politiker kultivierten zudem einen Alarmismus, der allein dem Wunsch geschuldet war, Aufrüstung, Repression und Überwachung im öffentlichen Raum voranzutreiben.

Landeshauptmann Thomas Stelzer berief kurzerhand einen sogenannten Sicherheitsgipfel ein. Was das sein sollte und auf welchen gesetzlichen Grundlagen dies geschah blieb im Verborgenen. Das Befeuern eines rassistischen Mobs war das wirkliche Ansinnen Stelzers. Dies zeigt die Tatsache, dass er die Halloween-Kindertumulte, entgegen jeglicher Evidenz, zu einem Ausländerproblem erklärt hat. Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger hingegen sprach von „Zero Tolerance“ gegenüber Randalierer*innen. Zu befürchten ist, dass der Bürgermeister dies aus wohlüberlegten Gründen tut. Er weiß genau über den Hintergrund der Zero-Tolerance-Policy, die der frühere New Yorker Bürgermeister und Trump- Rechtsanwalt Rudy Giuliani und dessen Polizeichef William Bratton durchgesetzt hatten.

Hypertropher Polizeiapparat

Die allerkleinsten Verstöße im öffentlichen Raum wurden unerbittlich aufs Härteste geahndet. Ab 1993 musste in New York, wer das Autoradio zu laut laufen ließ, wer Trottoirs beschmutzte, wer Graffiti sprühte, wer beim Betteln erwischt wurde, wer im Park pinkelte, fest damit rechnen, festgenommen zu werden und für längere Zeit hinter Gitter zu wandern. Die Zahlen der wegen Bagatellen Inhaftierten schossen durch die Decke, weil die Entlohnung und Beförderung bei der Polizei von den Zahlen der Verhaftungen abhängig gemacht worden ist. Gleichzeitig hatte Null Toleranz zur Folge, dass der Polizeiapparat in acht Jahren von 27.000 bewaffneten Uniformierten auf 41.000 aufgerüstet worden ist, das Polizeibudget wurde in nur fünf Jahren um 50 Prozent erhöht, während das städtische Sozialbudget um 30 Prozent beschnitten wurde.

Hier wird deutlich, und um nichts anderes geht es den lokalen Politiker*innen, dass der neu be- feuerte Sicherheitsdiskurs nichts anderes ist als eine Kriminalisierung der sozialen Unsicherheit, die hierzulande noch überdies einen rassistischen Spin hat. Es ist nicht verwunderlich, dass nahezu alle Wortmeldungen die Ausweitung der Polizeibefugnisse zum Thema hatten. Die extreme Rechte, in persona Manfred Haimbuchner, forderte zudem, das Asylrecht zu hinterfragen und aus der europäischen Menschrechtskonvention auszusteigen.

Der Ausbau der Polizeibefugnisse, die Ausrüstung als Riot-Police, die Verschärfung der Versammlungsgesetze und des Demonstrationsrechts, die Hochrüstung des Polizeiapparates mit neuen Sturmgewehren und anderen Waffen, Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner und andere Spitzeltechniken bis hin zur so genannten Sicherungshaft, die einen grundsätzlichen Bruch mit minimalen zivilisatorischen Standards darstellt, das ist die Wunschliste der Provinzpolitik. Die Adressaten dieser Hochrüstung sind mit Sicherheit nicht feiernde Kids.

Generation Covid

Stefanie Breinlinger über Corona und Jugendarbeitslosigkeit.

Nach der Finanzkrise von 2008 bekommen die Menschen wieder einmal mit aller Härte zu spüren, dass die kapitalistische Marktwirtschaft neoliberaler Prägung mit wiederkehrenden einschneidenden Krisen und enormen sozialen Verwerfungen einhergeht. Sie bietet jedoch keine Lösungen für diese massiven sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die sie erzeugt.

Eine sozial gerechte Gesellschaft lässt sich nur durch staatliche Eingriffe herstellen. Der durch die COVID-19-Maßnahmen vertiefte wirtschaftliche Einbruch hatte massenhafte Arbeitslosigkeit zur Folge – dabei ist die wirtschaftliche und soziale Krise noch lange nicht ausgestanden.

Verlorene Generation?

Jugendliche sind von der aktuellen Arbeitslosigkeit noch stärker betroffen als die Durchschnittsbevölkerung. Derzeit sind rund 50.000 Menschen unter 25 Jahren ohne Job – das sind doppelt so viele als vor der Corona-Krise. Die Aussicht ist ebenfalls düster für Jugendliche und junge Erwachsene beim Berufseinstieg, wenn nicht entschieden gegengelenkt wird.

Auch im Vergleich zum Vorjahr wird sich die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen in Österreich laut einer Prognoserechnung der JKU Linz verdoppeln. Laut market-Umfrage werden bis zu 10.000 weniger Lehrstellen im Herbst verfügbar sein. Derzeit sind nur 4.000 Lehrstellen offen, während doppelt so viele Personen eine solche suchen.

Verlorene Zukunft?

Diese Entwicklungen schlagen sich bereits in den subjektiven Erwartungshaltungen in der Generation der Jugendlichen nieder: Eine qualitative Studie des Instituts für Jugendkulturforschung ergab bei der Befragung von 16- bis 29-jährigen Frauen, dass bei der Mehrheit existenzielle Ängste aufgrund Arbeitsplatzverlust bzw. sinkender Jobchancen die Wahrnehmung ihrer beruflichen Zukunft dominieren. Bei 71 Prozent der befragten jungen Frauen besteht die größte Sorge in einer Corona-bedingten Weltwirtschaftskrise.

Für Jugendliche und junge Erwachsene ist es besonders tragisch, wenn der wichtige Lebensabschnitt Berufseinstieg nicht gelingt: Es erzeugt hohen Stress, wenn Zukunftspläne der Jugendlichen scheitern und sie aufgrund der Perspektivenlosigkeit nicht in der Lage sind, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Langzeitarbeitslosigkeit, Einkommensverlust und Armutsgefährdung, psychische Erkrankungen, Abkehr von der Gesellschaft sind unmittelbare schwerwiegende Auswirkungen auf die jungen Menschen in unserer Gesellschaft. Künftige Fachkräfte fehlen obendrein. Großes individuelles Leid und hohe gesellschaftliche Kosten wird die Rekordjugendarbeitslosigkeit ohne zusätzliche Fördermaßnahmen zur Folge haben.

Ausbildungsgarantie für Jugendliche

Die verantwortlichen EntscheidungsträgerInnen sind also dringendst gefordert, die Generation Jugendlicher aufzufangen, ihnen eine Chance zu geben und zu vermitteln, dass sie und ihre Fähigkeiten eine Bedeutung haben. Das Ziel muss sein, Lehrstellen zu schaffen in der Verwaltung, in staatlichen und staatsnahen Betrieben und den Lehrwerkstätten, die in der Vergangenheit sogar Kürzungen hinnehmen mussten.

Eine Ausbildungsgarantie bis 25 Jahre könnte man umsetzen, wenn Plätze in überbetrieblichen Ausbildungsstätten wie Produktionsschulen und Lehrwerkstätten aufgestockt werden, sodass diese den Lehrstellen-Rückgang anderer Betriebe ausgleichen können.

Ebenso muss das AMS-Budget wesentlich erhöht werden. Für die finanzielle Absicherung der Auszubildenden braucht es zudem eine Anhebung der Beihilfen auf 792 Euro für über 18-Jährige im dritten Lehrjahr in überbetrieblichen Lehrausbildungen (d.h. auf das Niveau vor Kürzung durch Türkis-Blau). Begleitmaßanhmen wie kostenlose Psychotherapie für junge Menschen und den Ausbau sozialraumorientierter Jugendarbeit (z.B. Jugendzentren) können junge Menschen auf ihrem Weg stärken.