Ereignisse, die Linken ein Lächeln ins Gesicht zaubern, sind fürwahr nicht häufig anzutreffen. Da waren die Wahlergebnisse bei den Gemeinderatswahlen in Oberösterreich und in Graz schon willkommen. Der Rücktritt eines Teils der Kurz-Bagage, obwohl ohne Zutun der Linken erfolgt, erwies sich ebenfalls durchaus als Wellness-Moment.
Dass sich an der kapitalistischen Realität, an den Zumutungen, welche diese für uns bereithält, kaum etwas ändern wird, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Denn, wie es Hermann L. Gremliza formulierte: „Wer aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht gelernt hat, dass die Bourgeoisie unabwählbar ist, hätte sein Lehrgeld besser versoffen.“
Bis die Kräfteverhältnisse und die Hegemonieverhältnisse es erlauben werden, die Bourgeoisie als herrschende Klasse anzubringen, bleibt nur, sich in radikaler, also grundsätzlicher Kritik zu üben, oder, wie Thomas Ebermann es sagte: „Kurzum: Linke Gesellschaftskritik steht der bürgerlichen Demokratie und ihrer Eigentumsverordnung mit negatorischem Spott und Verachtung gegenüber.“ Diesen negatorischen Spott, dazu möchten wir auch mit dieser Nummer beitragen.
Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen für die Café KPÖ-Redaktion Franz Fend
Franz Primetzhofer über den Überwachungskapitalismus
Überwachung hat durch die digitale Datenabsaugung einen antiquierten Beigeschmack. Heute haben große Datenkonzerne das Geschäft der Überwachung als gewinnorientiertes Akkumulationsmodell geschaffen. Sie nutzen das Verhalten der Menschen und eignen sich deren Daten – von digitalen Priestern als „Datenkrümel“ verharmlost – ohne rechtliche Basis an.
Datenschützende Eingriffe sind machtlos und von den Datenkraken leicht zu umschiffen. Trotz Empörung wie im Fall Edward Snowden oder als bei der US-Wahl Cambridge Analytica Teile des Wahlvolks Trump zutrieb. Die „Datenkrümel“ werden von Informationsmaschinen, die von Herden-Experten angelernt wurden, zu Profilen und Vorhersageprodukten umgewandelt. Die Vorhersagen sind gewiss und daher auch so begehrt von Staat und Markt. Wer aus dem Schwarm ausschert, wird schnell wieder eingeherdet.
Die digitalen Herdenpriester, die über „Menschen verbinden“ und „die Welt besser und sicherer machen“ schwafeln, haben ein verhaltensbiologisches Verständnis. Ähnlich Skinners Behaviorismus aus dem 20. Jahrhundert sehen sie Menschen als verhaltensbiologisches Produkt, deren Verhalten durch Druck, Anstoß oder auch härter verändert werden kann.
Verhaltensbiologie braucht kein konstituierendes Vorher, kein Ich, kein Selbst, keinen Willen, kein reflektiertes Denken, keine Sozialpsychologie – das Verhalten wird auf Biophysisches reduziert. Daher ist das Modell der Schwarm und nicht die Gesellschaft. Der Schwarm besteht aus biophysischen Organismen, die gesamthaft gesteuert, getunt, geherdet und aktiviert werden können.
Der Unterschied zu China ist, dass dort der Staat viel stärker direkt und auch offen auf das Verhalten der Bevölkerung Einfluss nimmt als im Westen. Hierzulande geht der Impuls vom Markt aus und ist bei der Durchdringung subtiler und viel weiter fortgeschritten. Neoliberale Modelle reichen nicht mehr aus, mit dem Verfall des Kapitalismus umzugehen. Deswegen hecheln sie zu digitalen Mächten wie GAMA (Google, Apple, Microsoft, Amazon), um das Herding zu lernen und anzuwenden. Der Irrglaube ist, dass sie damit die Gesellschaft für steuerbar halten, die nicht einmal mehr mit dem neoliberalen „Freiheitsprinzip“ vereinbar ist.
Der Schwarm ist eine in Verbindung mit der ungeheuren technologischen Macht geschaffene neue totalitäre Form der Gesellschaft. Bürgerliche Heiligtümer wie Individualität, Aufklärung, Recht, Wille, Autonomie und Freiheit werden im Schwarm abgeschmolzen.
Andrew Bosworth, Top Manager bei Facebook, sagte in einem internen Memo 2016: „Die hässliche Wahrheit ist, …dass alles, was uns noch mehr Menschen zusammenbringen läßt, unterm Strich gut ist…….Das rechtfertigt unsere Arbeit am Wachstum,….Nicht die besten Produkte gewinnen, sondern die, die jeder benutzt. ….Dass sich da keiner täuscht, Wachstumspraktiken haben uns dorthin gebracht, wo wir sind“.
Die von sich aus nichts zu verbergen haben, sind schon im Schwarm. Es gibt nichts Eigenes mehr, das es wert wäre zu verstecken. Die Corona-Pandemie bereitet dieser Entwicklung Vorschub, „weil das Zusammenbringen der Menschen“ (Zuckerberg, Bosworth) dem Überwachungskapital Wachstum verschafft und den Methoden des Tunens, Schubsens, Herdens und Aktivierens bessere Legitimität verschafft.