Bevormundung nicht dulden

Mitra Shahmoradi (Malerin und Poetin) und Heinz Gärtner (Politikwissenschaftler Uni Wien) über den Aufstand der Frauen im Iran

October 5 2022, Rome Campidoglio. Action in solidarity of women and population of Iran. Activists, students and civil society act to raise awareness about Mahsa Amini and all the women of Iran are protesting in defence of their human rights. copyright Francesca Maceroni/Amnesty International Italia

Die Proteste im Iran, die sich zu Beginn äußerlich gegen die Kopftuch- Pflicht der Frauen richteten, haben sich ausgeweitet. Sie wollen die herrschende Bevormundung und dass die Religion ihr gesamtes Leben bestimmt nicht mehr dulden.

Der Ruf nach Ende der Diktatur und nach Freiheit sind aber iranische und nicht notwendigerweise westliche Forderungen. Der Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ wurde erweitert durch „Mann, Heimat, Wohlstand“. Die Jugend will ihren Iran zurückerobern. Das Land soll einheitlich bleiben. Er soll alle sozialen, regionalen, ethnischen und religiösen Schichten und Gruppierungen beiderlei Geschlechts umfassen. Das steht im Gegensatz zu den Wünschen politischer Entscheidungsträger im Westen und auch in der Region, die die Schwächung und den Zerfall des Iran entlang religiöser und ethnischer Nationalitäten kommen sehen.

Viele Forderungen der Bewegung sind nicht neu: Sie waren schon Triebkräfte der iranischen Revolution von 1979, die sich gegen das pro-westliche Regime des Schahs richtete. Ein Großteil blieb allerdings nicht nur unerfüllt, sondern das religiöse System war zum Teil eine Fortsetzung der vorherigen politischen Diktatur. Nicht zufällig ähneln sich daher auch die Slogans.

Sichtbare Rolle der Frauen

Die Forderungen nach Abschaffung von Folter, Todesstrafe und Zensur, Freilassung politischer Gefangenen, soziale Gleichheit und internationale Unabhängigkeit (damals von den USA, heute von Russland und China) sind verbunden mit derjenigen nach dem Ende der autoritären Herrschaft, damals der pro-westlichen, diesmal der religiösen. Die Sehnsucht nach politischer Freiheit hat schon ihre Basis in der Verfassungsrevolution von 1906.

Die Frauen haben bei den aktuellen Demonstrationen eine sichtbare Rolle übernommen. Sie sind auch stolz darauf, dass sie in der Welt nicht mehr als schwache, unterdrückte und identitätslose Wesen wahrgenommen werden. Sie waren schon bei der Verfassungsrevolution aktiv und wirkten beim bewaffneten Widerstand mit. Ihnen wurde das Wahlrecht aber nicht gewährt, sie konnten es erst 1963 erkämpfen. Die Frauen waren auch bei der Revolution von 1979 im Einsatz. Sie wurden aber von der islamischen Republik stark enttäuscht. Es wurden frauenfeindliche Gesetze erlassen und der Kopftuchzwang eingeführt. In der Zivilgesellschaft haben die Frauen seit Jahrzehnten eine zentrale Bedeutung. Diese Bewegung hat das Ziel, was die jungen Menschen im Iran immer wie- der betonten, dass sie ohne Führer zurechtkommen wollen.

Die Zivilgesellschaft im Iran ist dynamisch. Sie wurde aber nicht nur durch das Regime, sondern auch durch westliche Sanktionen ein- geschränkt. Eine Aufhebung der Sanktionen würde ihre Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten, eventuell auch ohne Aufstände, erhöhen. Eine Änderung der Normen und Öffnung der iranischen Gesellschaft sind wichtiger und nachhaltiger als ein unmittelbarer Sturz des Systems. Nach 1979 gab es zwar einen Regimewechsel, viele autoritäre Regeln sind aber geblieben, neue Vorschriften wurden zusätzlich erlassen.

Die Bewegung macht deutlich, dass die Moderne in der iranischen Gesellschaft bereits viel weiter fortgeschritten ist, als es das bestehende System akzeptieren will. Die jetzige oder eine andere Regierungsform werden gezwungen sein, eine Anpassung an diese Entwicklung anzuerkennen und umzusetzen.

Betretenes Schweigen

Ein Kessel Buntes. Von Franz Fend

Seit mehr als zwei Monaten demonstrieren vor allem iranische Schülerinnen und Studentinnen gegen das dortige Regime. Auslöser der Proteste war die Festnahme der 22-jährigen Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei, weil sie das vorgeschriebene Kopftuch nicht vorschriftsgemäß getragen haben soll. Amini überlebte die Misshandlungen nicht.

Die Proteste, die zu Beginn mit der Losung „Frau, Leben, Freiheit“ vor allen gegen die rigiden Bekleidungsvorschriften und die allgemeine Unterdrückung der Frauen geführt wurden, ist längst zu einer gesamt- gesellschaftlichen Revolte gegen Massenarmut und Unterdrückung ausgewachsen. Entsprechend sind auch die Reaktionen des Mullah-Regimes gegen die Proteste. Mehr als 300 Menschen, darunter an die 30 Kinder, wurden in den letzten Wochen von den Revolutionswächtern umgebracht, tausende verhaftet. Vermutlich sind die realen Zahlen an Opfern viel höher.

Evident ist, dass der islamistische Repressionsapparat wahllos in Demonstrationen geschossen hat, Universitäten unter Beschuss genommen hat und tausenden, die vor sogenannte Revolutionsgerichte gezerrt werden, droht ebenfalls der Tod. Allein, die ärgste Repression und die ungeheuerlichsten Drohungen des Regimes halten den Aufstand nicht auf. In mehr als 20 Städten und in über 50 Universitäten kam es in den letzten Tagen zu Protesten. Es geht um nicht weniger als um alles, heißt es. Das wissen auch die Nachbarländer, in denen die Frauen ebenso wenig gelten wie im Iran und deren soziale Lage ebenso katastrophal ist.

Weltweit kam es zu Solidaritätskundgebungen für die Aufständischen im Iran, in Berlin waren 80.000 auf der Straße, in Paris über 100.000, im verschnarchten Österreich waren es ein paar Hundert. Weltweit waren die persischen Aufstände in den Schlagzeilen der großen Medien. In Österreich hingegen, wurde im ORF diskutiert, wer denn die Mülltonnen bezahlen soll, die bei den Demonstrationen angezündet worden sind. Aber das ist auch nicht verwunderlich, denn Österreichs Regierungen befindet sich seit Jahrzehnten in übler Kumpanei mit dem theokratischen Mullah-Regime. Da wundert es nicht, dass die virulente Regierung betreten schweigt, wenn selbst die EU zögerlich beginnt, Sanktionen gegen den Iran zu beschließen.

Widerstand und Zivilcourage

Gerlinde Grünn über einen Beitrag zur Zeitgeschichte

Das Buch „Widerstand und Zivilcourage“ der Autorinnen Gugglberger, Frei und Wachter und das Denkmal „Fünf vor 12. Unerhörter Widerstand“ der Künstlerinnen Kern und Rodriguez, bilden den wissenschaftlichen und künstlerischen Rahmen der Würdigung des vielfältigen, weiblichen Widerstands in Oberösterreich.

Damit widmet das Land nach immerhin 77 Jahren erstmals dem weiblichen Widerstand in der NS- Zeit Aufmerksamkeit.

Dem Buch gelingt durch seine ansprechende Gestaltung ein rasches Hineingleiten ins Thema. Fotos und Briefe der darin porträtierten widerständigen Frauen berühren und überwinden die lange zeitliche Distanz zum Geschehen. Lange hat es gedauert bis auch der von Frauen geleistete Widerstand als solcher anerkannt wurde.

Bis in die 1960er Jahre galt ein recht enger Widerstandsbegriff, der nur organisierten oder militärischen Widerstand als solchen gelten lies und damit alle anderen Formen ignorierte. Die Betroffenen selbst schwiegen mangels Aufmerksamkeit aber auch aus Scham im reaktionären Klima der Nachkriegszeit.

Erst in der 1970er und 1980er Jahren weitete sich der Blick. Alternative Forschungsmethoden wie etwa Oral History führten Forschende auf die Spuren von widerständigen Frauen. Das Buch „Der Himmel ist blau“ oder der Dokumentarfilm „Küchengespräche mit Rebellinnen“ verlieh Widerständlerinnen erstmals eine Stimme und ein Gesicht. Auch die akribische Dokumentationsarbeit des Arbeiterhistorikers Peter Kammerstätter brachte die Taten von Frauen ans Licht.

Auch die zahlreichen Broschüren der KPÖ OÖ zum Widerstand leisteten einen wichtigen Beitrag zur Sichtbarkeit von Frauen. Der Historikerin Martina Gugglberger gelang schließlich die Etablierung des Themas im universitären Diskurs und die Schwerpunktsetzung auf den Alltagsdissens, auf Zuwiderhandeln, Wider- sprechen und Hinterfragen.

Das Buch kann allen empfohlen werden, die an einer kompakten Aufarbeitung des weiblichen Widerstands in Oberösterreich Interesse haben, die in die Lebensgeschichten von widerständigen Frauen eintauchen möchten und die sich von der Zivilcourage, dem Unrechtsbewusstsein und dem Wagemut dieser Frauen inspirieren lassen wollen.

Widerständig

Neidvoll kann man derzeit nach Spanien blicken. Das von einer Linkskoalition regierte Land gilt als das progressivste in Sachen Gleichstellungspolitik in Europa. Mögen Reaktionäre in aller Herren Länder an Frauenrechten sägen, Spanien macht den Umkehr- schwung.

So wurde eine Gesetzesvorlage beschlossen, die unter anderem Minderjährigen ab 16 Jahren ohne Zustimmung der Eltern einen Schwangerschaftsabbruch ermöglicht, den Eingriff kostenlos in einem Krankenhaus anbietet und auch eine mehrtägige Krankschreibung bei Menstruationsbeschwerden vorsieht.

Die Politikwissenschaftlerin Judith Götz erklärt diesen einzigartigen Feminismus-Schub so: Eine Regierung in der auch Männer sich zum Feminismus bekennen, eine mobilisierungsstarke Frauenbewegung und die Tradition einer widerständigen Protestkultur.

Für soziale Rechte zu Massen auf die Straße zu gehen oder zu streiken, gilt als Voraussetzung für den Fortschritt, den man nicht an Regierende delegieren will.

Kurzum, es kann nicht schaden angesichts der Lage ein Auge dorthin zu werfen, wo die Erkenntnis der Internationalen: „Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun“ lebendig ist und mit Fortschritt belohnt wird.

Gerlinde Grünn

In Auschwitz ermordet

Gerlinde Grünn über die Ausstellung Friedl Dicker-Brandeis im Lentos

Das Lentos in Linz widmet der Universalkünstlerin Friedl Dicker-Brandeis (1898–1944) eine Einzelausstellung, die man gesehen haben muss. An die 200 Ausstellungsstücke vom Möbelstück, über Zeichnungen bis zur Installation gilt es zu bestaunen und das alles eingebettet in die Erzählung ihres Lebenswegs beginnend in Wien und endend in Auschwitz.

Ganz am Anfang zieht einen ein Video „Damen im Auto“ an. Ihre betagten Freundinnen Hilde Kothny und Edith Kramer erzählen auf der Rückbank eines Autos auf der Fahrt zu einem Treffen mit viel Witz und unpathetisch über ihre Freundin und Genossin Friedl.

Friedl Dicker wurde 1898 als Tochter eines Papierwarenhändlers geboren und verlor früh ihre Mutter. Studierte an der Kunstgewerbeschule Textil, arbeitet für das Theater und folgte ihrem Lehrer nach Weimar und wurde Bauhaus-Schülerin. Mit ihrem Freund Franz Singer gründete sie in Wien ein Architekturbüro. Die von ihr entworfene Einrichtung für den Kindergarten im Wiener Goethehof findet sich in der Ausstellung wieder.

Sie war wohl zu diesem Zeitpunkt schon politisch aktiv und trat zu Beginn der 1930er Jahre der kommunistischen Partei bei. Fotomontagen etwa zum Abtreibungsverbot oder die Mitarbeit zu einem Film über „Das Kapital“ verweisen auf ihr Engagement. Leider ist der Forschungsstand zu ihrer politischen Biografie derzeit noch recht mager. Gewiss ist, dass sie im Zuge des Auffliegens einer Passfälscherwerkstatt inhaftiert wird und 1934 in die Tschechoslowakei flieht.

In Prag lernt sie ihren Mann Pavel Brandeis kennen. Bedrückt vom Vorrücken des Faschismus ziehen beide in ein kleines Dorf. 1942 werden beide ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Friedl Brandeis beginnt dort mit den Kindern zu malen und zu zeichnen, um ihnen in der schier ausweglosen Situation zu helfen. Die Kinderzeichnungen überdauerten in einem Koffer und sind in einem eigenen Raum zu besichtigen. Als ihr Mann nach Auschwitz deportiert wird, folgt sie ihm und wird ermordet.

Die Ausstellung über Friedl Dicker-Brandeis im Lentos berührt und ermutigt dazu selbst auf Spurensuche zu gehen. So verweist etwa das Bild „Fuchs lernt Spanisch“ auf den Spanischen Bürgerkrieg oder das Gemälde „Don Quijote und Lenin“ auf die Sehnsucht nach einer besseren Welt.

Im Gedächtnisbuch

Peter März über die kommunistische Widerstandskämpferin Gisela Tschofenig-Taurer.

Das „Gedächtnisbuch Oberösterreich“ sammelt seit 2019 Biografien zu Personen, die Widerstand gegen das NS-Terrorregime geleistet haben oder die von diesem System verfolgt waren. Die einzelnen Beiträge stammen dabei von Menschen oder Initiativen, die einen persönlichen, örtlichen oder inhaltlichen Bezug zu diesen Personen haben. Zunächst wurde das so entstandene Buch im Linzer Mariendom vorgestellt und ab Mai 2022 soll es auch im Schlossmuseum Linz der Öffentlichkeit zugänglich sein. Geplant ist zudem eine regelmäßige Erweiterung.

Für 2021 sind Leopold Arthofer, Johann Gruber, Leopold Kotzmann, Aloisia Leithenmüller, Albine Rosenfels, Charlotte Taitl, Hugo Walleitner, Alois Zierler sowie die Kommunistin Gisela Tschofenig-Taurer aufgenommen worden.

Gisela Taurer, geboren am 21. Mai 1917 in Kärnten, zog mit ihrer Familie 1935 nach Linz, ein Jahr später nach Leonding. Sie absolvierte die Schule und fand eine Anstellung bei der Reichsbahn. Im April 1937 machte sie sich gemeinsam mit Margarete Gröblinger auf den Wege zu den spanischen Interbrigaden, scheiterte jedoch und blieb bis April 1938 in Lyon. Zurück in Österreich arbeitete Taurer als Kassierin am Linzer Hauptbahnhof.

Sie engagierte sich für die illegale KPÖ, leistete Kurierdienste und schrieb Flugblätter für Landesobmann und ZK-Mitglied Sepp Teufl. Von Juli 1939 bis zur Verhaftung ihres späteren Gatten Josef Tschofenig im Mai 1940 lebte sie in Berchem bei Amsterdam. Sie kehrte nach Leonding zurück und gebar im Dezember 1940 ihren Sohn Hermann. Im Juni 1944 heiratete sie in Dachau Josef Tschofenig, der im KZ eingekerkert war.

Ende September 1944 verhaftete die Gestapo Tschofenig-Taurer in Villach und überstellte sie anschließend in das Frauengefängnis Kaplanhof in Linz. Dort überstand sie den Bombenangriff am 31. März 1945 und wurde mit den anderen Überlebenden in das Arbeitserziehungslager Schörgenhub gebracht. Am 27. April 1945 wurden Gisela Tschofenig, Theresia Reindl, Risa Höllermann, Franz Popp, ein Mann namens Stadler aus Gmunden und ein unbekannter Jude erschossen.

Auf Initiative der KPÖ ist 2006 eine Straße in Linz-Ebelsberg nach Gisela-Tschofenig-Taurer benannt worden.

Rollback bei Frauenrechten

Gerlinde Grünn über internationale Kampagnen gegen Abtreibung

Für grundlegende Frauenrechte wird es wieder mal recht eng: Ob gleicher Lohn für gleiche Arbeit oder reproduktive Rechte – in vieler Ländern Europas hat längst die Schubumkehr eingesetzt. Was in der Aufbruchstimmung des 20. Jahrhunderts durch eine starke ArbeiterInnen- und Frauenbewegung erkämpft wurde, ist entweder eingefroren am Status Quo oder kommt unter rechtsnationalen Regierungen zu Fall.

Die Grausamkeit des durch die rechtsnationale Regierung gegen massiven Widerstand von progressiven Kräften durchgesetzten absoluten Abtreibungsverbots in Polen beweist sich am erschütternden Tod einer schwangeren Polin. ÄrztInnen einer Klinik verweigerten ihr die Abtreibung eines abgestorbenen Fötus aus Angst vor der restriktiven Gesetzeslage. Die einunddreißigjährige Frau verstarb daraufhin an einer vom toten Fötus ausgelösten Sepsis.

Zurecht spricht das Europäische Parlament im 2019 beschlossenen Matic Bericht vom Verbot von medizinisch begleiteten Abtreibungen als Gewaltakt gegen Frauen. Auch im 21.Jahrhundert sterben weltweit Frauen an Abtreibungsverboten. Sie zwingen ungewollt Schwangere zu unsicheren und Illegalen Abbrüchen mit der Folge, dass unsichere Abtreibungen zu den fünf häufigsten Todesursachen von Schwangeren zählen.

Versorgung katastrophal

Auch in Österreich verhindert die Gesetzeslage eine Weiterentwicklung. Zwar wurde Anfang der 1970er Jahre die Fristenlösung eingeführt – die Straffreistellung eines Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft – aber weder wurde das Abtreibungsverbot aus dem Strafgesetzbuch entfernt noch eine flächendeckende und kostenfreie medizinische Versorgung bereitgestellt.

Scham, Stigmatisierung und Schweigen bestimmen nach wie vor die Situation von ungewollt Schwangeren in Österreich. Ein markantes West-Ost-Gefälle an Angeboten an öffentlichen Spitälern, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, spricht hier Bände.

Auch in Oberösterreich gibt es kein einziges Krankhaus außerhalb von Linz mit einem entsprechenden Angebot. Mit der Aufgabe des stadteigenen Linzer AKH und der Eingliederung in die Landesspitäler steht auch die Linzer Fristenlösungsambulanz unter politischen Druck der konservativen Kräfte. Christliche Fundamentalisten und Rechte aller Colours sägen am bis dato stillschweigenden Konsens der Minimalversorgung. Forderungen nach Entkriminalisierung, Übernahmen der Kosten durch die öffentliche Hand, flächendeckenden Ausbau der medizinischen Versorgung und Entstigmatisierung der Abtreibung bleiben ungehört.

Der jahrzehntelange Stillstand und die nur halbherzige Reform in den 1970er Jahren wird so zum Bumerang. Die Entpolitisierung der Frauenfrage, eine geschwächte Linke und die Institutionalisierung der Frauenbewegung tut ihr Übriges dazu. Die Situation ist ernst, aber nicht hoffnungslos.

Denn nach wie vor lehren Länder wie Argentinien, immerhin das Heimatland des amtierenden Papstes, dass die Kräfte der Reaktion kapitulieren müssen, wenn es gelingt Massenproteste zu organisieren. Vor einem Jahr stellte Argentinien auf Druck von Massenprotesten die Abtreibung straffrei und garantiert seither die Übernahme der Kosten durch die öffentliche Hand. Es geht also doch.

Progressive Ansätze zerschlagen

Jürgen Heiser über die Mär von der Frauenbefreiung

Afghanistan war Anfang der 1970er Jahre eines der ärmsten Länder der Erde, laut den Vereinten Nationen das am geringsten entwickelte Land Asiens. Über 90 Prozent der Menschen waren Analphabeten, Frauen führten diese traurige Bilanz mit 96 Prozent an.

Nach den in westlichen Medien zunächst kolportierten „Garantien“ der neuen Machthaber in Kabul, Pressefreiheit und Frauenrechte „achten zu wollen“, zeigten sich diese schließlich doch besorgt, die Taliban könnten die angeblich von NATO-Truppen gesicherten Rechte von afghanischen Mädchen und Frauen wieder beseitigen.

Allerdings kam es nicht erst während des ersten Taliban-Emirats zur Unterdrückung von Frauen, aus der sie der NATO-Einmarsch vorgeblich „befreite“. Diese bis heute gepflegte Mär des Westens stellt die Geschichte Afghanistans und speziell des Freiheitskampfes der Frauen auf den Kopf. Im 2001 von der US-geführten Kriegsallianz begonnenen Angriff auf das Land ging es nie um die Befreiung der Frau. Wer das dennoch behauptet, will vergessen machen, dass es gerade die USA, ihre Geheimdienste und europäischen Verbündeten waren, die den in den 1960er Jahren von den afghanischen Frauen begonnenen Kampf um Gleichberechtigung niederschlugen.

Damals hatte der gesellschaftliche Aufbruch vor allem die urbane Jugend erfasst, und es entstand eine starke säkulare Studenten- und Frauenbewegung. Sozialistische und kommunistische Organisationen wurden gegründet, und linke Parteien entwickelten revolutionäre Programme für eine demokratische Umgestaltung. Wie in anderen Teilen der Welt war dieser Aufbruch sicher auch in Afghanistan mit taktischen und strategischen Fehlern behaftet, aber dennoch ein kolossaler Fortschritt.

Eine Zeitzeugin dieser Entwicklung ist die US-amerikanische Journalistin Marilyn Bechtel: Selten sei es dabei um die Anstrengungen gegangen, „die das afghanische Volk in den späten 1970er und 1980er Jahren unternahm, „um sich vom Erbe der unablässig Krieg führenden Stämme und Feudalherren zu befreien und einen modernen demokratischen Staat aufzubauen“.

Auch über die Politik der Sowjetunion in diesem Prozess seien viele Worte gefallen – „meist verzerrt“, wie die Journalistin konstatierte. Denn dabei sei es nie um die fortschrittliche Rolle gegangen, die die junge Sowjetunion lange vor 1978 spielte. Anders als das zaristische und das britische Imperium habe die „neue revolutionäre Regierung in Moskau die Unabhängigkeit Afghanistans anerkannt“ und das Land schon seit den 1920er Jahren beim Aufbau erster Infrastrukturprojekte unterstützt.

Die in Afghanistan geborene Journalistin Sahra Nader zog ebenfalls eine vernichtende Bilanz. „Die USA unterstützten die afghanischen Mudschaheddin, eine fundamentalistische Islamistengruppe, die einen Stellvertreterkrieg gegen die Sowjets führte.“ In dieser Zeit seien die Rechte der Frauen und die Menschenrechte generell für niemanden in den USA oder anderen westlichen Ländern von Bedeutung gewesen.

Indem die von den USA aufgerüsteten Milizen seit den 1980er Jahren ihre Aufgabe erfüllten, den Einfluss der Sowjetunion mit Gewalt zurückzudrängen, zerschlugen sie gleichzeitig alle progressiven Ansätze im Land und wiesen den Frauen lediglich den Platz im Haus zu.

Aus „Junge Welt“ (26.8.2021), gekürzt

Krasse Differenzen

Heike Fischer über den Jammer mit den Equal Days

Vor zehn, zwölf Jahren noch war oft die Frage zu hören „Was ist denn ein Equal Pay Day?“. Mittlerweile ist er in aller Munde – mal im Februar, auch im September, Oktober und neuerdings auch im Juli, August als Equal Pension Day.

Eines haben sie alle gemeinsam: Sie zeigen die großen Einkommensunterschiede der Geschlechter auf mit dem Fazit, dass die Frauen dabei schlecht abschneiden. Gemessen im Februar haben Frauen symbolisch bis dahin unbezahlt gearbeitet. Gemessen im Oktober, arbeiten Frauen ab da gratis – immer ausgehend vom durchschnittlichen Bruttoverdienst beider Geschlechter. Beim Equal Pension Day, der heuer auf den 1. August fiel, hatten Männer bereits so viel Pension erhalten wie Frauen bis zum Ende des ganzen Jahres erhalten werden.

Die Ursachen dafür werden hinlänglich kommuniziert und interpretiert. Zum einen ist es die unterschiedliche Berufswahl. Meist sind es Frauen, die in schlecht bezahlten Branchen wie Gesundheit, Pflege, Handel und Dienstleistungen schuften. Und in denen oft auch nur Teilzeitjobs angeboten werden. Zum anderen sind familienbedingte Unterbrechungen eine Ursache. Sind es doch meistens die Frauen, die bei den Kindern daheim bleiben, sich um den Haushalt kümmern oder Angehörige pflegen. Die logische Folge ist ein entschieden geringeres Erwerbseinkommen der Frauen und damit auch eine deutlich geringere Pension.

All diese Equal Days klären uns regelmäßig darüber auf, wie und warum in unserer Gesellschaft Frauen benachteiligt werden. Manchmal blitzt ein wenig Freude auf, weil sich die Equal Days um ein, zwei Tage Richtung Angleichung zu Männern und zu Gerechtigkeit hin verschoben haben. Aber große Sprünge sind das längst noch nicht.

Auffällig ist, dass die Equal Days-Aktionstage fast ausschließlich von Frauen an die Öffentlichkeit gebracht werden, sei es in Interviews, Statements oder Straßenaktionen. Wogegen scheinbar die Männer das Thema locker nehmen (können). Aber nur gemeinsam können „Frauenjobs“ finanziell aufgewertet werden und eine gerechte Aufteilung der unbezahlten Arbeit erfolgen. Ein geeigneter Ansatz dafür wäre eine generelle Arbeitszeitverkürzung. Diese nützt allen was und bewirkt in logischer Folge auch eine wirksame Angleichung der Einkommen.

Spirale nach unten

Karin Antlanger über die Teilzeitpläne von ÖGB und AK.

Ausgerechnet zum Equal-Pension-Day gingen Arbeiterkammer und ÖGB mit einer Forderung in die Offensive, die sogar bei Bürgerlichen für Kopfschütteln sorgte: Eltern, die beide Teilzeit arbeiten, sollen einen Bonus von monatlich 250 Euro bekommen, wenn sie ihre Arbeitszeit auf 28 bis 32 Stunden pro Woche reduzieren.

Das ganze bis zum vierten Geburtstag des Kindes. Dadurch solle Familienarbeit besser aufgeteilt werden. Auch Alleinerziehende sollten diesen Bonus bekommen – wer dann allerdings die zweite Hälfte der Familienarbeit übernehmen soll, wird nicht gesagt.

Oberösterreich hat die Nase vorn – die Frauen haben das Nachsehen: Die Männerpensionen liegen um 200 Euro über dem Bundesdurchschnitt. Es gibt bundesweit die niedrigsten Frauenpensionen. Im Verhältnis sind am wenigsten Frauen pensionsversichert. Oberösterreich hat die niedrigste Betreuungsquote bei unter Dreijährigen.

Und all das in einem „Industrieland“, das angeblich so gut durch die Krise(n) gelenkt wurde. Wozu sollen die Frauen denn Vollzeit arbeiten, wenn die Männer in der Metallindustrie eh genug verdienen? Wozu überhaupt arbeiten, wenn der Alte eh die Kohle nach Hause bringt?

Und wozu soll sich eine Gewerkschaft noch für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn stark machen, wenn die Menschen doch freiwillig eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnkürzung hinnehmen? Nur weil der ÖGB seit 45 Jahren keine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung erreichte, habe er sich von dieser mehr als überfälligen Maßnahme in der Praxis endgültig verabschiedet.

Angriff auf Pensionssystem

Dass die vorgeschlagene Familien-Teilzeitarbeit nicht nur die Pensionen der Betroffenen kürzt, sondern auch das Pensionsversicherungssystem ins Schwanken bringt, da bei Teilzeitarbeit auch weniger Versicherungsbeiträge eingezahlt werden, ist Gewerkschafts- und AK-Funktionär*innen entweder nicht bewusst oder sie nehmen es in Kauf.

Oder setzen sie auf private Pensionsvorsorge? Das wäre mindestens ebenso fahrlässig wie unverantwortlich. Es stellt sich immer mehr die Frage, wessen Interessen diese Funktionär*innen wirklich im Fokus haben.

Der Anteil der Männer, die in Karenz gehen, ist nach wie vor gering. Wen wundert’s? Sind doch die finanziellen Einbußen für Männer meist so viel höher als für die im Schnitt viel geringer entlohnten Frauen. Da würde auch ein Familienbonus von 250 Euro nicht viel dran ändern. Was sich aber tatsächlich ändern würde, wäre, dass Frauen dadurch kaum mehr Pension bekämen, dafür aber die Männer weniger.

Ist das die Gleichheit, auf die AK und ÖGB hinarbeiten? Nicht gleicher Lohn für gleiche Arbeit und damit Anhebung der Fraueneinkommen, sondern gleich wenig für alle, auch für Männer, also eine Nivellierung nach unten. Und das Thema Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn für alle Beschäftigten würden sie damit auch unter den (Verhandlungs-)Tisch fallen lassen.

So lange es keine flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen auch für unter 3-jährige gibt, und solange den Frauen immer noch ein schlechtes Gewissen eingeredet wird, wenn sie Vollzeit berufstätig sind, wird es keine Chancengleichheit und existenzsichernde Alterspensionen für Frauen geben. Und die Forderung nach einer 30-Stundenwoche wird den Gewerkschafter*innen weiterhin wie ein pornografischer Witz die Schamesröte ins Gesicht treiben.