Integration & Ausbeutung

Dario Krenn über Reaktionen auf die „Halloween-Krawalle“

Motiviert von den sensationsgeilen Schlagzeilen über die „Halloween- Krawalle“ auf der Linzer Landstraße, kramte die SPÖ eine Idee hervor, die sie bereits 2016 gefordert hatte: das sogenannte Integrationsjahr.

Laut der Linzer Vizebürgermeisterin Blöchl ist es nämlich „besonders problematisch“, wenn Asylwerber*innen „zu keiner verpflichtenden Berufstätigkeit herangezogen werden können“. Hier ist also keinesfalls von einem allgemeinen, „freiwilligen“ (so freiwillig halt, wie man im Kapitalismus Lohnarbeit nun einmal verrichtet) Zugang zum Arbeitsmarkt die Rede, sondern von einem Zwangsdienst.

Die Motivation hinter der Forderung – der FPÖ durch das Übernehmen von rechten Positionen Stimmen abgraben zu wollen – ist schon verwerflich und disqualifizierend, um noch von einer progressiven Partei sprechen zu können; die Begründung toppt dies aber noch. Denn sie geht nicht nur davon aus, dass eine Gesellschaft ausschließlich auf Lohnarbeit basiert, sondern auch, dass es notwendig ist, Lohnarbeiter*in zu sein, um als Teil der Gesellschaft überhaupt in Frage zu kommen.

Wobei es fraglich ist, ob man überhaupt von Lohnarbeit beim „Integrationsjahr“ sprechen kann. Denn wie würde dieses in der Realität aussehen? Asylwerber*innen würden unter der Androhung von Sanktionen in Betrieben maximal für ein Taschengeld arbeiten. Gewerkschaftlich unorganisiert, wohl oft der deutschen Sprache noch nicht ausreichend fähig und weitgehend ohne Rechte (geschweige denn über die Ressourcen verfügend, die es bräuchte, um diese wenigen Rechte durchzusetzen), würden sie ein Jahr lang als De-facto-Sklaven dem Kapital dienen. Wie Integration gelingen soll, wenn man Menschen noch mehr zu Personen zweiter Klasse degradiert, als sie ohnehin schon von den Herrschend betrachtet werden, bleibt das Geheimnis der SPÖ.

Die Forderung nach einem verpflichtenden „Integrationsjahr“ spricht Bände über die sozialdemokratische Führung. Wer kapitalistische Ausbeutung als unbedingte Notwendigkeit sieht, damit eine Gesellschaft „funktioniert“ und dies notfalls auch durch sklavenähnliche Zwangsarbeit durchsetzen möchte, hat das Spektrum linker Politik in Idee und Tat längst verlassen.

Uneiniges Pack

Der „Schotterkönig“ Hans Asamer kaufte um 12,5 Millionen Euro diverse Grundstücke entlang der Autobahn A1 in Ohlsdorf zusammen, holte sich den Sanktus des Landes zur Rodung von 19 Hektar Wald und verkaufte das zum Betriebsbaugebiet „Ehrenfeld II“ arrondierte Areal um 29,5 Millionen Euro an den Immobilienhai VGP (Belgien).

Die Bundesforste steuerten „mangels forstlicher Nutzbarkeit“ 1,5 Hektar zu diesem Areal bei und geben sich jetzt reuig: „Es wird sicher kein Ohlsdorf 2“ geben meint ÖBf-Vorstand Andreas Gruber. Von 600 Arbeitsplätzen an diesem „Leitstandort“ – womit Asamer, Land und Gemeinde lockten – blieb nichts übrig. Im Gegenteil: Im Jänner 2023 wurde das Betriebsbaugebiet auf der Plattform „Willhaben“ vom aktuellen Eigentümer CBRE (Texas) inseriert.

Auch Landesrat Achleitner (ÖVP) – der unter Missachtung aller kritischen Stimmen und negativer Gutachten der Naturschutzbehörde die Rodung ermöglichte – putzt sich ab, denn für Umwidmungen seien „die Gemeinden zuständig“. Ohlsdorf Bürgermeisterin Ines Mirlacher (SPÖ) fühlt sich „hingehalten“. Mitgegangen, mitgefangen. Nur Asamer lacht sich ins Fäustchen.

Leo Furtlehner

Erhitzte Gemüter

Ina Pree über vermutete Erdgasvorkommen in Molln

Anfang Jänner 2023 wurde medial über einen größeren Erdgasfund in Molln im Steyrtal berichtet. Laut Angaben der Wirtschaftskammer (WKO) werden an die 22 Milliarden Kubikmeter Erdgas in ca. 2.000 Metern Tiefe vermutet – eine Menge, mit der Österreich etwa drei Jahre lang mit Gas versorgt werden könnte.

Vor dem Kontext der gegenwärtigen Kriegssituation in der Ukraine, den damit verbundenen Diskussionen rund um die Reduzierung der Abhängigkeit von russischem Gas und der voranschreitenden Klimakrise führt diese Nachricht zu erhitzten Gemütern.

Vorweg muss festgehalten werden, dass Bodenschätze laut Mineralrohstoffgesetz im Eigentum der Republik stehen. Damit entscheidet die Montanbehörde über etwaige Nutzungsrechte, die in der Regel an private Konzerne gehen, die wiederum diese Rohstoffe teuer an uns verkaufen.

Zum aktuellen Projektstand informiert die SPÖ-geführte Gemeinde Molln auf ihrer Website über die geplante Probebohrung „Welchau 1“, abgewickelt durch das Unternehmen ADX. Dahinter steht die börsennotierte Mutter ADX mit Hauptsitz in Perth (Australien). Jetzt wird auf die Genehmigung der zuständigen Montanbehörde West (Salzburg) gewartet.

Die politischen Verantwortungsträger*innen der Gemeinde und Naturschutzvertreter*innen kritisieren die intransparente Vorgehensweise des Bundes. Viel zu spät habe man Informationen erhalten und sei nicht in Entscheidungen miteingebunden gewesen. Das angesuchte Probebohrgebiet liegt im Ortsteil Breitenau, umringt von Naturschutzgebieten am Rand des Nationalparks Kalkalpen. Erich Frommwald, Obmann der Sparte Industrie der WKO ruft dazu auf, die Genehmigung der Förderung „einer sachlichen und strategischen Prüfung zu unterziehen“ und erst anschließend die Debatte weiterzuführen.

Erdgas ist ein fossiler Energieträger, bei dessen Verbrennung Tonnen an CO2 entstehen. Wirtschaftliche Profitinteressen stehen hier klar ökologischen Interessen gegenüber. Sollten wir als Gesellschaft im Jahr 2023 dazu nicht schon eine klarere Haltung entwickelt haben? Es geht also darum, wo und wie Energie eingespart, wie Energie sozial gerecht verteilt und ökologisch verträglich einsetzt werden kann.

Eisige Aussichten

Dario Krenn über Wintertourismus und Monopolisierung

Blickte man im Dezember auf so manche grüne und nicht weiße Skipiste, sah man zwar keine Sportler*innen, dafür aber eine Tatsache: Die Wintersportindustrie steht mittelfristig vor einem Umbruch.

Verbunden mit immer höheren Preisen für Skipässe, Ausrüstung, Anfahrt und einer eventuellen Unterbringung in Herbergen oder Hotels, wird wohl in absehbarer Zeit eine Monopolisierung im Wintertourismus geschehen. Bei immer wärmeren Wintermonaten wird es irgendwann einfach entweder technisch oder betriebswirtschaftlich nicht mehr möglich sein, Pisten zu betreiben.

Wer sich Wintersport dann noch leisten kann und will, wird auf eine kleine Auswahl an Skigebieten zurückgreifen müssen. Profitieren werden also hochgelegene Regionen, in denen Pisten, Seilbahnen und andere notwendige Infrastrukturen schon ausgebaut wurden (oder noch werden) und natürlich deren Betreiber und die dortige Hotellerie. Notwendigerweise geht mit einer zunehmenden Monopolisierung auch die Möglichkeit einher, die Preise überproportional anheben zu können. Günstigere Alternativen für einen Skitag in niedrigeren Skigebieten wird es dann – dem Klimawandel sei Dank – nicht mehr geben.

Probleme wird es aber nicht nur auf der Verbraucherebene geben, sondern auch andernorts. Verlagert sich der gesamte Wintertourismus in wenige Regionen, wird auch das Verkehrsaufkommen sich dort multiplizieren. Schon jetzt ist der An- und Rückreiseverkehr der größte klimaschädigende Faktor im Wintertourismus – Lösungen, wie man Verkehr reduzieren und verlagern kann, sind auch im Wintertourismus ein gut ignoriertes Problem.

„Super-Skigebiete“ werden noch mächtigere Besitzer und Betreiber von Liften, Seilbahnen und Hotels hervorbringen – der Druck, sich nach deren Interessen zu richten, wird so auf kommunale wie auch Landes- und Bundespolitik steigen. Verbunden mit der dann herrschenden „Alternativlosigkeit“, wird das Arbeitsplätze-Argument natürlich dann noch gewichtiger. Die schon jetzt herrschende Verwobenheit der Wintersportindustrie mit der Volkspartei wird dazu führen, dass öffentliche Interessen noch mehr als ohnehin schon unter die Profitinteressen des Ski-Adels geordnet werden.

Technischer Schnee

Werden wir demnächst Schnee fressen? Bauern im Mühlviertel sollen bald Snow-Farmer und Technikschnee-Produzenten werden. Im geplanten nordischen Zentrum in Weigetschlag setzt man laut „OÖN“ auf „modernes Snowfarming“ und auf die Produktion von „technischem Schnee“. Da werden dann die bislang zum Teil eh nur mehr als Landschaftspfleger tätigen Landwirte auf „Schneebauern“ umgeschult, die mittels Schneekanonen statt Kunstschnee nun „technischen Schnee“ erzeugen sollen. Klingt doch gleich viel sauberer als Kunstschnee, oder?

Würde Lukas Resetarits diese Begriffe in seinem Kabarettprogramm verwenden, könnten wir lachen und meinen, dass er jetzt wieder mal arg übertreibt. In Zeiten der drohenden Klimakatastrophe solche Begriffe zu erfinden, lassen selbst Felix Mitterers apokalyptischen vierten Teil der Piefke-Saga nur als Beschreibung der aktuellen österreichischen Realität erscheinen.

Solange die Kassen klingeln, wird alles zu Geld gemacht, egal ob damit der Klimawandel noch mehr angeheizt wird und die Natur weiter zerstört wird. Und wenn das Argument der Arbeitsplätze nicht mehr zieht, dann werden halt schönfärberische Begriffe eingeführt. Da sind die Profiteure der Umweltzerstörung höchst kreativ.

Karin Antlanger

Was getan werden muss

Eva Brenner sprach mit Walter Baier, dem neuen Präsidenten der Europäischen Linken

Was sind die größten Herausforderungen der EL?

Das Wichtigste ist die sozial-ökologische Wende. Der Ausstieg aus den CO2-Technologien erfordert die europaweite Mobilisierung großer Mittel und Ausweitung öffentlichen Eigentums. Ein Problem, das im Rahmen der neoliberalen Idee, alles dem Markt zu überlassen, nicht zu lösen ist.

Welche Themen haben Priorität?

Ende des Krieges, eine neue europäische Friedensordnung, Schutz der Menschen vor der Explosion der Lebenshaltungskosten und die Rettung der Umwelt. „Frieden, Brot und Rosen“, wie im Slogan des Parteitags zusammengefasst.

Wie hat sich die EL entwickelt, wo liegen die Schwierigkeiten?

Sie ist gewachsen. Auch die Probleme sind unübersehbar: In den letzten Jahren sind vor allem kleine Parteien der EL als Vollmitglieder oder Beobachter beigetreten. Die wichtigste positive Ausnahme bildet da La France Insoumise. Das zweite große Problem ist die Schwäche der EL in Zentral- und Osteuropa. Hier ist die wichtigste positive Ausnahme die Linke Sloweniens.

Wie stand es um die Einigkeit beim Parteitag?

Es ging nicht um die Frage des Verhältnisses zur NATO, sondern um die Position zum Ukraine-Krieg. Es ist aber gelungen, eine Einigung über drei zentrale Forderungen zu erzielen: Waffenstillstand, Rückzug der russischen Truppen, Aufnahme von Verhandlungen – als gleichrangige Elemente einer Friedenslösung.

Reicht das aus?

Nein, aber politische Entscheidungen beruhen stets auf Kompromissen. Die Debatte wird also weitergehen Die Linke verfügt über Know-how in Theoriearbeit und Friedenspolitik. In Europa geht es um eine Verringerung militärischer Spannungen. Dazu wäre ein Abbau atomarer Offensivwaffen der NATO und Russlands dringend erforderlich. Wir müssen von der EU und den Mitgliedsstaaten verlangen, statt Aufrüstung auf Initiativen für eine Beseitigung der Atomwaffen zu setzen.

Wie schätzt du da die Chancen ein?

Die Völker im Süden fordern einen gerechten Anteil am Wohlstand. Der durch die Vorherrschaft der USA und ihrer Verbündeten gesetzte Ordnungsrahmen funktioniert nicht mehr. Damit wächst auch die Versuchung, die Gegensätze mit kriegerischen Mitteln zu unterdrücken.

Wie sollen Schritte zu einer Umsetzung der Transformationen vor sich gehen?

Der sozial-ökologische Wandel muss von den reichen Staaten finanziert werden. Doch auch dort verschärfen sich die Verteilungskonflikte. Der Aufstieg rechtsextremer, nationalistischer Parteien zeigt eine politische Krise auf. Die Linke braucht eine Strategie, die sie als Systemalternative erkennbar macht.

Wie stehen die Auspizien für die EU-Wahl 2024?

Die EL ist mit 44 Parteien aus 27 Ländern der größte Zusammenschluss linker Kräfte in Europa. Aber sie braucht Bündnispartner*innen, in Gewerkschaften, in Umweltbewegungen, in feministischen Bewegungen, unter Intellektuellen und Kunstschaffenden.

Welchen Einfluss hat deine Wahl zum Präsidenten der EL auf die Linke in Österreich?

Die Linke in Österreich entwickelt sich. Die Wahlerfolge der KPÖ in Graz, Linz, Salzburg und anderswo beweisen das. Soweit ich kann, werde ich mich bemühen, diese Entwicklungen zu unterstützen und die linken Kräfte vereinen zu helfen.

Walter Baier (KPÖ-Vorsitzender 1994–2006, Koordinator von transform!europe 2006–2020) wurde beim 7. Parteitag der Europäischen Linken (EL) im Dezember 2022 mit über 92 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten gewählt. Interview gekürzt aus der „Volksstimme“

Rojava im Visier

Kerem Schamberger über die Lage im befreiten Kurdistan

Es ist eine unglaubliche Leistung, diesen Geburtstag der Revolution von Rojava überhaupt feiern zu können. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass diese möglich sein wird. Aber auch der Inhalt des Projektes ist nach wie vor beeindruckend.

Es wurde geschafft, eine stabile, demokratische Selbstverwaltung zu schaffen, die nicht nur für Kurd*innen arbeitet, sondern die die ganze multikulturelle Vielfalt der Region umfasst – in der also Araber*innen, Assyrer*innen, Yesid*innen und viele andere mit- arbeiten. Es wurde also geschafft, eine politische wie auch verwaltungstechnische Vertretung zu schaffen, die der Vielfalt der Region gerecht wird.

Gleichzeitig wurde ein aufopferungsvoller und blutiger Kampf gegen die Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) geführt. Dabei sind mehr als 12.000 Kämpfer*innen von SDF (Demokratische Kräfte Syriens) und YPG (Volksverteidigungseinheiten) gestorben, mehrere 10.000 wurden verletzt und sind nun teilweise Kriegsinvalide. Im März 2019 wurde der IS als territoriale Entität besiegt.

Der russische Krieg gegen die Ukraine läuft im Hintergrund der aktuellen Kriegshandlungen gegen Rojava. Aufgrund der relativen Schwächung der russischen Präsenz in Syrien ist ein Vakuum entstanden. Der Fokus der USA liegt derzeit auf Osteuropa. Gemeinsam mit den Europäern soll dort der russische Feind bekämpft werden. Die fehlende Strategie beider Großmächte führt dazu, dass regionale Mächte wie die Türkei die Situation nutzen und vermehrt massive Luftangriffe mit Kampfjets gegen das Projekt der Selbstverwaltung starten, gegen seine zivilen und militärischen Repräsentanten.

Erdogans erstes Ziel ist die ethnische Säuberung von dort lebenden Kurd*innen. Auch um eine vermeintliche Lösung für die syrischen Geflüchteten – von denen ja Millionen seit mehr als zehn Jahren in der Türkei leben – präsentieren zu können. Die Geflüchteten werden in der wirtschaftlichen Situation dafür verantwortlich gemacht, dass es keine Jobs gibt oder dass – die in der Türkei ohnehin kaum existierenden – Sozialleistungen weggenommen würden.

Selbstverwaltung als Feind Erdogan will daher die Gebiete in Nordsyrien erobern, um die Geflüchteten dort anzusiedeln, obwohl die gar nicht aus diesen Gebieten kommen. Damit das möglich ist, muss das Gebiet ethnisch gesäubert werden von den Menschen, die gerade dort wohnen. Das zweite, übergeordnete Ziel ist die Zerschlagung jeglicher Selbstverwaltung. Weil eine erfolgreiche Selbstverwaltung auch für die Kurd*innen in der Türkei ein Vorbild sein und Ausstrahlungskraft entwickeln könnte.

Das iranische Regime steht bekanntermaßen an der Seite des syrischen Assad-Regimes. Es hat in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass das Regime in Syrien nicht gestürzt worden ist – durch Militärpersonal und Rekrutierung von Truppen. Daher hat das iranische Regime keinerlei politisches oder strategisches Interesse an der Selbstverwaltung der Kurd*innen in Nordsyrien. Auch deswegen, weil sie – ähnlich wie bei der Türkei – für das iranische Regime ein unerwünschtes Beispiel für die Kurd*innen im eigenen Land darstellen könnte. Das ist auch durchaus der Fall. Aktuell sehen wir etwa, dass bei den Protesten im Westiran bzw. Ostkurdistan immer wieder stark Bezug genommen worden ist auf die Selbstverwaltung in Rojava.

Der Weg der Natur

Franz Hauser plädiert für bakterielle Vielfalt

Neben dem Artensterben bei Tieren und Pflanzen vollzieht sich ein noch größeres Artensterben bei viel kleineren Lebewesen, den Mikroorganismen. Dieses Artensterben geschieht unsichtbar, leise und bekommt kaum Aufmerksamkeit, obwohl es gravierende Auswirkungen auf unser Leben hat.

Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Ein erwachsener Mensch trägt rund zwei Kilo Bakterien in sich, es sind mehr Bakterien als eigene Körperzellen. Mit den meisten dieser Bakterien leben wir in Symbiose; Stoffwechsel, Immunsystem uvm. wird von ihnen beeinflusst. Chronische Wohlstandskrankheiten und Rückgang der Vielfalt in unserem Mikrobiom hängen zusammen. Massiv weiterverarbeitete Lebensmittel mit Stabilisatoren, Geschmacksverstärkern usw. schaden dem Mikrobiom, auch raffinierte Kohlenhydrate wie Zucker. Eine Medizin mit auf Symptom-Bekämpfung ausgelegten Medikamenten gibt noch eins drauf, sie bedeutet mehr Wohlstandskrankheiten und mehr Medikamente.

Eine für den Kapitalismus ideale Spirale, die sich auch in der Landwirtschaft wieder findet. Boden ist kein Dreck, sondern die Grundlage unserer Ernährung. Industrielle Landwirtschaft liefert mit massivem Einsatz von Maschinen, chemischen Dünger und Pflanzenschutzmitteln hohe Erträge. Humus wird abgebaut und das Bodenleben zerstört. Einst fruchtbare Böden verkommen, nur durch weiteren Einsatz von chemischen Düngern sind Ernten möglich. Die Anfälligkeit gegen Krankheiten steigt bei sinkender Vielfalt im Bodenleben, der Einsatz von Pestiziden muss erhöht werden. Auch hier wird versucht, verlorene Mikroorganismen durch Chemikalien zu ersetzen.

Wir schlittern immer tiefer in die Abhängigkeit von Chemie-Konzernen. Wir brauchen Medikamente, und ich vermute keine Verschwörung hinter dieser Entwicklung in der Landwirtschaft. Einfache Lösungen, schnelle Erfolge und Rücksichtslosigkeit haben diese Entwicklung losgetreten. Ein intaktes Mikrobiom in uns und natürliches Bodenleben lassen sich nicht kaufen oder verkaufen. Wenn es jedoch nicht mehr funktioniert, wird es teuer. Diese Kosten trägt dann sicher nicht der Verkäufer der schnellen Lösung. Vielfalt in der Ernährung durch Vielfalt in der Landwirtschaft für eine Vielfalt an Leben.

Das neue Feindbild

Die politischen Entscheidungsträger*innen beschließen seit Jahren keine weitreichenden Maßnahmen gegen den Klimawandel. Angemeldete Proteste haben an Zugkraft eingebüßt. Die einst euphorische Stimmung des globalen Klimastreiks ist abgeflacht, die Politik kann sich zurücklehnen.

Nun hat die „Letzte Generation“ die Bühne des Klimaaktivismus betreten. Als festgeklebte menschliche Straßenblockaden legen sie den Verkehr lahm. Von den Rechten werden sie kriminalisiert, mit Terrorist*innen gleichgesetzt. Vom Boulevard werden die sogenannten „Klimakleber“ mehrheitlich als Aufmerksamkeit heischende Tunichtgute inszeniert. Klar ist es unangenehm im Stau zu stehen.

Auch trifft es hier nicht jene, die an den entscheidenden politischen und wirtschaftlichen Hebeln sitzen. Gleichzeitig hat es die „Letzte Generation“ mit ihren Aktionen geschafft, das Thema „Klimakrise“ erneut in den Fokus zu rücken. Sie verletzten dabei keine Menschen, verursachen keine langfristigen Sachschäden und verhalten sich selbst konsequent friedlich gegenüber anderen. Das ist lästig, aber offenbar notwendig, um wieder über eine der größten Herausforderungen unserer Zeit zu sprechen.

Maria Egger

Vorübergehend unterbesetzt

Daniel Steiner über das perfide Ausbeutungsmodell Arbeitskräftemangel

Nicht der Kommunismus, der Arbeitskräftemangel ist das aktuelle Gespenst, das in Europa umgeht. Mit Ende Jänner 2023 meldet das AMS 107.518 sofort besetzbare offene Stellen. Die Zahl der offenen Lehrstellen hat im Jahresabstand um 19,5 Prozent zugelegt, jene der Lehrstellensuchenden bloß um 6,3 Prozent. Unterm Strich fehlen in Österreich aktuell um die tausend Lehrlinge.

Ein Blick auf die Bevölkerungsentwicklung zeigt, die Zahl potenzieller Arbeitskräfte wird in naher Zukunft alterungsbedingt sinken. Dabei befindet sich Österreich im EU-Vergleich noch im Bereich mit unterdurchschnittlichem Arbeitskräftepotenzialverlust. Österreich wird voraussichtlich zwischen 2020 und 2050 fünf Prozent an Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren verlieren, der EU-Schnitt beträgt 11,7 Prozent, Spitzenreiter Lettland wird in diesem Zeitraum sogar 35 Prozent seiner erwerbsfähigen Bevölkerung einbüßen.

Während sich die zum politischen Hegemon gewordene extreme Rechte in all den von ihr beherrschten Parteien einhellig – koste es was es wolle – gegen Zuwanderung in jeglicher Form ausspricht und parallel dazu die Neoliberalen mittels unverfrorenen Forderungen nach ständiger Erhöhung des Pensionsantrittsalters den verbleibenden Pöbel bis zum Umfallen hackeln sehen will, und mit zusätzlichem Druck auf arbeitslose Menschen hofft, zusätzliches „Potenzial“ zu aktivieren, bleibt die gewerkschaftlich orientierte Linke zu diesem Thema auffällig still. Es scheint an der Zeit, den Blick auf den real existierenden Arbeitskräftemangel und dessen Auswirkungen auf die verbliebenen Beschäftigten zu richten.

Arbeitskräftemangel muss als schleichendes Phänomen verstanden werden. Kolleg*innen kündigen oder gehen in Pension, doch die Anzahl der Bewerbungen für die frei gewordenen Stellen sinkt in den letzten Jahren dramatisch. Die Arbeit der fehlenden Kolleg*innen wird aber trotzdem weiterhin erledigt. Es ist ja nur „vorübergehend“. Aus diesem „vorübergehend“ kann schnell ein Zeitraum von mehreren Monaten, bis zu über einem Jahr werden, bevor wieder eine geeignete und willige Person für den Job gefunden wird.

Teufelskreislauf prolongiert Während die Übriggebliebenen permanenter „vorübergehender“ Mehrbelastung im Job ausgesetzt sind, sieht die Sachlage für die Arbeitgeber*innenseite gänzlich anders aus. Hier spart man sich „vorübergehend“ enorm viel Geld, je länger das „Vorübergehend“ dauert, desto besser. Vielfach wird hier aufgrund kurzfristiger Profitinteressen jedoch die Kehrseite der Medaille übersehen, überspannt man nämlich den Bogen, führt dies zu Überforderung, vermehrten Krankenständen und nicht zu selten zur Selbstkündigung bei der dezimierten Belegschaft.

Ganze Einrichtungen können so kollabieren. Dies kann gerade im Bereich der Elementarbildung, in Krankenhäusern sowie im Alten- und Pflegebereich beobachtet werden. Ein Übergreifen des Phänomens auf andere Branchen ist mehr als wahrscheinlich. Um die Motivation der Arbeitgeber*innenseite zur aktiven Personalsuche nicht zu sehr sinken zu lassen, sollte von gewerkschaftlicher Seite als erster Schritt drauf gepocht werden, die Löhne „vorübergehend“ unbesetzter Posten auf die verbliebenen Kolleg*innen aufzuteilen, anstatt das Geld kampflos der Bourgeoisie zu überlassen. Schweigen und mit den Achseln zu zucken, wird uns jedenfalls nicht weiterbringen.