Franz Hauser plädiert für bakterielle Vielfalt

Neben dem Artensterben bei Tieren und Pflanzen vollzieht sich ein noch größeres Artensterben bei viel kleineren Lebewesen, den Mikroorganismen. Dieses Artensterben geschieht unsichtbar, leise und bekommt kaum Aufmerksamkeit, obwohl es gravierende Auswirkungen auf unser Leben hat.
Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Ein erwachsener Mensch trägt rund zwei Kilo Bakterien in sich, es sind mehr Bakterien als eigene Körperzellen. Mit den meisten dieser Bakterien leben wir in Symbiose; Stoffwechsel, Immunsystem uvm. wird von ihnen beeinflusst. Chronische Wohlstandskrankheiten und Rückgang der Vielfalt in unserem Mikrobiom hängen zusammen. Massiv weiterverarbeitete Lebensmittel mit Stabilisatoren, Geschmacksverstärkern usw. schaden dem Mikrobiom, auch raffinierte Kohlenhydrate wie Zucker. Eine Medizin mit auf Symptom-Bekämpfung ausgelegten Medikamenten gibt noch eins drauf, sie bedeutet mehr Wohlstandskrankheiten und mehr Medikamente.
Eine für den Kapitalismus ideale Spirale, die sich auch in der Landwirtschaft wieder findet. Boden ist kein Dreck, sondern die Grundlage unserer Ernährung. Industrielle Landwirtschaft liefert mit massivem Einsatz von Maschinen, chemischen Dünger und Pflanzenschutzmitteln hohe Erträge. Humus wird abgebaut und das Bodenleben zerstört. Einst fruchtbare Böden verkommen, nur durch weiteren Einsatz von chemischen Düngern sind Ernten möglich. Die Anfälligkeit gegen Krankheiten steigt bei sinkender Vielfalt im Bodenleben, der Einsatz von Pestiziden muss erhöht werden. Auch hier wird versucht, verlorene Mikroorganismen durch Chemikalien zu ersetzen.
Wir schlittern immer tiefer in die Abhängigkeit von Chemie-Konzernen. Wir brauchen Medikamente, und ich vermute keine Verschwörung hinter dieser Entwicklung in der Landwirtschaft. Einfache Lösungen, schnelle Erfolge und Rücksichtslosigkeit haben diese Entwicklung losgetreten. Ein intaktes Mikrobiom in uns und natürliches Bodenleben lassen sich nicht kaufen oder verkaufen. Wenn es jedoch nicht mehr funktioniert, wird es teuer. Diese Kosten trägt dann sicher nicht der Verkäufer der schnellen Lösung. Vielfalt in der Ernährung durch Vielfalt in der Landwirtschaft für eine Vielfalt an Leben.