
Alfred Polgar, der 1873 als Alfred Polak in der Wiener Leopoldstadt das Licht der Welt erblickte, schrieb über „Städte, die ich nicht erreichte“. Zu ihnen gehört auch Linz.
„Von Linz kenne ich nur den Bahnhof und die Linzer-Torte, die aber eigentlich nicht mehr zu Linz gehört, seit ein gelehrter Kuchenhistoriker festgestellt hat, dass die Torte nicht nach der Stadt, sondern nach ihrem Erfinder, einem Wiener Bäcker namens Linzer, so heißt, wie sie heißt.“
Weiter unten heißt es: „Westwärtsfahrende, die im Zug eingeschlafen waren, fragten beim Erwachen zuerst: ‚Waren wir schon in Linz?‘ Und wenn sie zur Antwort bekamen ‚ja‘, atmeten sie auf, als ob sie sagen wollten: ‚Dann wäre also das Schwerste überstanden.‘“
Den Wiener Bäcker namens Linzer ließ sich Konditormeister Leo Jindrak nicht gefallen. Er ist ja wie viele Linzer Konditoren der Meinung, d i e originale Linzertorte zu fabrizieren. Und erfrechte sich, Polgars genialischen Tortenschmäh als „Frechheit“ zu bezeichnen. Das war einmal am Linzer Hauptplatz unüberhörbar, nämlich über Lautsprecher, zu hören. Warum eigentlich hat der Jindrak dem Polgar nicht eine typisch jüdische „Frechheit“ an den Poetenkopf geworfen? Er, der Jindrak, hätte der Stadt Linz alle Ehre gemacht.
Er, der Polgar, emigrierte 1940 zu Fuß über die Pyrenäen nach Spanien, später nach Portugal. Den illegalen Fußmarsch nahmen auch Polgars Frau, Heinrich, Nelly und Golo Mann auf sich, außerdem Alma und Franz Werfel. Die Genannten trafen sich in Lissabon wieder und fuhren mit der „Nea Hellas“ der Freiheitsstatue entgegen. Ankunft in New York: 13. Oktober 1940.
P.S. Jemand, der meint, meine Zeilen seien eine weitere „Frechheit“, dem kann ich nicht widersprechen. Übrigens: Die Linzertorte kann man auch selbst fabrizieren. Wer weiß, vielleicht schmeckt sie sogar besser als die diversen Originalen, sofern man nicht vergisst, damit es nicht so staubt, den Teig mit kubanischem Rum zu verfeinern.
Hanns Christian Schiff