Diskurs der sozialen Kälte

Stefanie Breinlinger über die Beschwörung der Sozialpartnerschaft

Am 21. Mai 2021 feierte die Arbeiterkammer Oberösterreich in einer Vollversammlung ihr 100-jähriges Bestehen. Die Mehrheitsfraktion FSG ließ dabei keine inhaltlichen Anträge zu und huldigte völlig unkritisch der Sozialpartnerschaft.

Deshalb enthielt sich AK-Rat Thomas Erlach (GLB) auch beim Leitantrag seiner Stimme und begründete dies folgendermaßen: „Was unter dem Namen ‚Sozialpartnerschaft‘ lange Zeit funktioniert hat, wurde vom ehemaligen Partner kommentarlos fallengelassen. Es gibt keinen gemeinsamen Konsens mehr über notwendige gesellschaftspolitische Maßnahmen. Die Arbeitgeberseite lässt sich ihre Wünsche von der Regierung in Gesetze gießen, ohne vorher mit der Arbeiterkammer nach einer Lösung zu suchen. Die Zerschlagung unserer Gebietskrankenkassen und das Aushebeln der Selbstverwaltung war ein schweres Foul, und hat die zarte Basis des gegenseitigen Vertrauens zerstört. Daher braucht es nun von Seite der Arbeiterkammer einen konflikthafteren Umgang mit dem Interessensgegner.“

Trotz aller Angriffe will die AK nicht wahrhaben, dass die Arbeitgeber- und Wirtschaftsseite den Verhandlungstisch der Sozialpartnerschaft längst verlassen hat. Darüber können auch die kurzen Episoden der Kooperation zu den Kurzarbeit-Regelungen oder dem neuen schwachen Homeoffice-Gesetz nicht hinwegtäuschen.

Denn der nächste Angriff ist bereits in Vorbereitung: Die aktuellen Vorstöße von Arbeitsminister Kocher zur Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung sehen vor, dass das Arbeitslosengeld mit der Bezugsdauer sinkt und die Notstandshilfe zeitlich begrenzt wird. Zumutbarkeitsbestimmungen bei der Arbeitssuche sollen zudem ausgeweitet werden.

Während die Regierung die Wirtschaft mit Milliarden auffängt, sind viele Menschen – die meisten davon Frauen – bereits jetzt in ihrer Existenz bedroht. Anstatt für eine wirksame soziale Sicherung und aktive Arbeitsmarktpolitik zu sorgen, soll der Druck auf sie erhöht werden, soll noch weniger zum Leben bleiben. Die Schuldnerberatung warnt bereits jetzt, dass sich derzeit viele Menschen verschulden, um ihre Fixkosten bestreiten zu können. Die schwerwiegendsten Folgen werden jedoch erst auftreten, wenn Corona-Regelungen wie etwa Mietstundungen auslaufen.

Ein menschenverachtender Diskurs der sozialen Kälte scheint in der Schwarz-Grünen Koalition salonfähig und bereitet den Boden für weitere soziale Verschärfungen: Arbeitslose, sozial ausgegrenzte Menschen würden sich in der sozialen Hängematte ausruhen. Diese werden eingeteilt in schlechte Menschen (weil selbstverschuldet arbeitslos) und gute (weil nicht selbstverschuldet). Dass das Arbeitslosengeld eine Versicherungsleistung ist und die Lohnabhängigen diejenigen sind, die die Wertschöpfung erarbeiten und Anspruch auf einen gerechten Anteil daran haben, verschweigen die neoliberalen Stimmungsmacher.

Alles spricht somit dafür, dass Gewerkschaften und Arbeiterkammern kämpferisch für die Anliegen der Lohnabhängigen eintreten. Letztlich müssen wir selbst offensiv Forderungen stellen und Perspektiven für eine solidarische Gesellschaft aufzeigen. Was es jetzt braucht, ist eine wirksame soziale Absicherung, aktive Arbeitsmarktpolitik, Arbeitszeitverkürzung, mehr Geld für Soziales, Gesundheit und Pflege und die Besteuerung von Erbschaften und Vermögen und nicht eine weitere Spaltung der Gesellschaft.

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